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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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langen Stille, die von draußen, von unten und von überall widerhallt, sagt Pippa: »Speed-Dating geht zwar nicht so schnell, wie es immer heißt. Aber es scheint zu funktionieren.«
    Sie sitzen eine halbe Stunde lang auf dem Sofa und küssen sich, und ihre Küsse schmecken nach Wein. Xavier zieht Pippa den Pullover über die Schultern und den Kopf, streichelt ihre kräftigen, sommersprossigen Arme und küsst die Spitze ihres Brustansatzes, der viel fester ist, als er es sich vorgestellt hat, und als sie seinen Hals küsst, schließt er die Augen. Mehr erst einmal nicht, keiner von beiden will etwas überstürzen, jede Minute hiervon ist viele Minuten normalen Lebens wert.
    Dann poltert es oben heftig, Stimmen werden laut, und die beiden – angestupst vom Universum, das sich für einen kurzen Moment diskret abgewendet hatte – sehen einander an, als würde ihnen erst jetzt klar, was gerade geschehen ist. Pippa fährt sich benommen durch das verwuschelte Haar. Xavier setzt sich etwas aufrechter hin, sein Rücken schmerzt. Pippa wischt sich mit der Hand über den Mund. Xavier steht auf und geht zur Toilette. Als er zurückkommt, haben sich die Federn gelockert, die die außergewöhnliche Atmosphäre der letzten halben Stunde an Ort und Stelle gehalten haben, und die beiden sehen einander an, noch immer erregt, aber mit einer gewissen Nervosität, wie zwei Menschen, die eine gefährliche Abmachung getroffen haben.
    »Ich sollte, ich sollte jetzt wirklich gehen«, murmelt Pippa. »Ich hab noch nicht mal die Küche saubergemacht.«
    Amüsiert streckt Xavier die Hand aus.
    »Darüber würde ich mir keine Sorgen machen. Was das Putzen angeht, war es sowieso ein ziemlich unprofessioneller Besuch.«
    Sie lächelt nicht über den Witz, und für einen Moment fürchtet er, sie beleidigt zu haben.
    »Tut mir leid, das sollte nicht heißen …«
    »Nein, nein, schon gut, ich denke nur gerade an meine Schwester.«
    Pragmatische Erwägungen über die Welt da draußen gewinnen wieder an Boden, und Pippa sieht so müde aus, dass Xavier sie am liebsten ins Bett legen und einmummeln würde. Er lächelt innerlich über die Kühnheit dieses kaum fertig gedachten Gedankens: Sie ist keine Frau, die man irgendwo »hinlegt«. Aber er kann ihr wenigstens ein Taxi rufen.
    Er drückt ihre Hand.
    »Alles wird gut mit deiner Schwester, glaub mir. Es renkt sich alles irgendwie ein.« Ich bin immer noch ein bisschen betrunken, denkt Xavier erstaunt; die Wörter nehmen eine Spur langsamer Gestalt an als sonst, und einmal geäußert, hängen sie verlegen im Raum, wie Druckfehler auf einer Buchseite, die darauf warten, entdeckt zu werden.
    »Na ja, warten wir’s ab.«
    »Irgendwie geht es immer, man kann mit allem fertig werden.«
    »Ich will aber nicht ›fertig werden‹.« Pippa atmet lange aus. »Das habe ich immer zu hören bekommen, als sich meine Knie verabschiedet haben. ›Du wirst schon damit fertig werden.‹ Das sage ich mir immer, wenn ich bei sechs Leuten am Tag putze und dann nach Hause komme und sehe, dass Wendy nicht mal gespült hat. Ich würd gern mal an einem Punkt ankommen, wo das Leben kein dauernder Kampf mehr ist. Aber egal. Hör nicht auf mich, ich rede und rede.«
    »Aber du machst das doch gut. Ich meine, daraus besteht doch das Leben, mit Dingen ›fertig zu werden‹.« Xavier müht sich ab, den Kern des Gesprächs herauszuschälen, ein positiver Kern, da ist er sich sicher. »Jeder hat sein Päckchen zu tragen, und wir müssen fast alle früher oder später mit irgendwas fertig werden. Mein Dad hat mal gesagt … na, egal. Manche packen es, andere nicht. So ist das halt im Leben.«
    Pippas Mund umzuckt ein Lächeln, dessen Bedeutung sich Xavier nicht recht erschließt.
    »Wirst du das verwenden?«
    »Wie bitte?«
    »In deiner Sendung. Du klangst gerade genau wie im Radio.«
    Xavier hat einen trockenen Mund.
    »Woher weißt du davon?«
    »Ich hab dich neulich nachts gehört.«
    Er weiß nicht, warum ihm dabei unbehaglich zumute ist, aber wie immer, wenn er aus seiner Anonymität herausgerissen wird, kommt es ihm vor, als würde ihm jemand mit der Taschenlampe in die Augen leuchten, der Raum erscheint ihm plötzlich zu hell und das Licht der Glühbirne flirrend und grell, wie die Beleuchtung in einem billigen Hotel.
    »Du bist echt gut«, sagt sie und tätschelt ihm den Arm, »aber der andere da, auf den könntest du verzichten.«
    Xavier macht sich los.
    »Ich versuche, nicht so viel Wind darum zu machen.«
    »Ich

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