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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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Gelächter. Xavier spürt, wie seine Wangen brennen, so sehr schämt er sich für Murray, verräterischerweise aber auch für sich selbst. Paul Quillam versucht indes unübersehbar, die Szene ihm zuliebe zu ignorieren.
    Mit einem innerlichen Stoßseufzer wappnet sich Xavier wie für einen Sprung in kaltes Wasser, geht in die Mitte der Kneipe und zerrt Murray fast schon grob in den Stand. Ganz langsam füllen sich Murrays Augen mit einem trägen Bewusstsein für seine Eselei, aber seine verzögerten Reaktionen hinken seinen Instinkten noch um einiges hinterher.
    »W-w-was machst du da …?«
    »Los komm, wir gehen.«
    Xavier führt seinen schwankenden Freund weg von dem dankbaren Barmädchen, den kichernden Gästen und Paul Quillam, der mit herablassendem Blick an der Bar sitzt und einen Gin-Tonic trinkt. Bevor Murray weiß, wie ihm geschieht, steht er mit Xavier vor der Tür. Ein Wind kommt auf, und die Holztafel mit dem Namen des Pubs schwingt knarrend hin und her, was im allgemeinen Lärm der Straßen untergeht.
    Xavier schüttelt den Kopf. Was soll er schon sagen? Murray starrt ihn an, und sein Haar wedelt umher wie Fransen im Wind.
    Xavier nimmt seinen Arm.
    »Los, komm.«
    »Ich …« Murray macht eine hilflose Geste. »Ich muss ein bisschen viel getrunken haben.«
    »Warum machst du solche Sachen immer genau in dem Moment, wenn ich versuche –«
    »W-wenn du versuchst …?« Xavier hat zu viel gesagt, und Murray bekommt – selbst durch den Sirup seines Rauschs hindurch – einen Teil der Bedeutung zu fassen. »Scheiße. Hat er mich gesehen? Der Neue, Quillam?«
    »Ist egal. Komm. Wir setzen uns irgendwo rein. Irgendwo, wo’s ruhig ist.«
    »Oh, Scheiße. Ich dachte, ich hätte einen g-g-ganz guten Eindruck auf ihn gemacht. Hatte ihm ein paar Sachen geschickt, ein paar Ideen. Mist.« Murray greift sich mit seinen dicken Fingern verzweifelt an die Stirn. »Jetzt fang ich wieder bei Null an.«
    Xavier lotst seinen Freund durch einen versteckten Durchgang, vorbei an zwei stinkenden Mülltonnen hinter dem Chico’s, dem spanischen Restaurant, und an der Rückseite eines großen Sportkaufhauses, wo Regenrohre trübes Wasser in einen Gully leiten.
    »Du musst dich einfach besser im Griff haben. Wie hast du dich denn bloß so schnell dermaßen volllaufen lassen? Warst du etwa schon blau, bevor wir uns getroffen haben?«
    »Nein.« Murray starrt im Vorbeigehen übertrieben konzentriert auf die Regenrohre, als versuchte er, ihre genaue Funktionsweise zu ergründen. Er stößt auf. »Nein, e-e-eigentlich hab ich angefangen, mich zu betrinken, als du mir von dem Mädchen erzählt hast, von der Putzfrau, Pippa.«
    Diese Worte hängen schwer wie ein Sandsack zwischen ihnen in der Luft.
    »Weil ich dir nicht schon eher davon erzählt habe? Oder weil – was?«
    Murray zuckt die Achseln, als spielte es keine Rolle. Die Seitenstraße führt sie am östlichen Ende der Tottenham Court Road vorbei, wo eine lange Schlange von Feierlustigen mit Federboas und groben Netzstrumpfhosen vor einem Club auf Einlass wartet, und weiter bis zu einer Gasse, wo Xavier einen Club der exklusiveren Art kennt.
    »Wir setzen uns einfach hier rein und trinken ein – einen Kaffee oder so, dann können wir in Ruhe reden.«
    Bevor Xavier den winzigen Knopf der Gegensprechanlage neben dem Messingschild mit dem Clubnamen drücken kann, hustet Murray und nimmt eine Handvoll seines lockigen Haars in jede Faust.
    »Es kam halt ziemlich überraschend«, sagt er und blickt auf den Gehweg, »weil wir eigentlich nicht oft über Beziehungen reden, also, über deine Beziehungen.«
    »Ich weiß.«
    »Und ich dachte …« Murray wischt sich mit der Hand über seine feuchten Lippen. »Ich dachte, keine Ahnung, mir kam mal der Gedanke, dass du v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-v-«
    Xavier sieht hilflos zu, wie sich das Wort in Murrays Kehle hin und her wirft und gegen seine Vertreibung wehrt, wie ein Kind, das sich allen Versuchen widersetzt, es aus einem Autositz zu nehmen.
    Murray bläst die Wangen auf.
    »Ich dachte, es k-könnte vielleicht sein, da-da-da-da-da-da-da-da-da. Da-dass du schwul bist.«
    Xavier muss fast lachen. Doch dann sieht er mit einem Stich in den Magen, wie Murray, die Hände in die Hüften gestützt, sich von ihm abwendet. Für zwanzig Sekunden fühlt es sich an, als würden alle Aktivitäten in ganz London ausgesetzt, dann macht Xavier einen schwerfälligen Schritt auf Murray zu und legt ihm die Hand auf die Schulter. Murray

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