Elf Leben
»und dann musste ich die Zeit finden, herzukommen und es zu holen, und dann musste ich mir noch überlegen, ob ich dich eigentlich sehen will.«
»Und …?«
»Ich wollte.«
Sie lehnt sich gegen die Armlehne des Sofas, und Xavier nimmt ihre Hand, als wäre sie aus Porzellan.
»Es tut mir wirklich leid.«
»Das sagtest du schon.«
»Möchtest du einen Tee?«
»Keine Zeit, Schätzchen.«
Sie hustet.
»Aber danke, dass du mich in der Sendung erwähnt hast.«
Xavier stellt sich ihre Brüste und Schenkel unter den sackartigen Sachen vor und spürt in seinem Unterbauch ein Feuer aufflammen, das sich unaufhaltsam in die Leisten ausbreitet, und seine Gedanken wandern zurück zu der halben Stunde, in der sie sich hier in den Armen gelegen haben. Fast hat er den Geschmack ihres Mundes auf der Zunge.
»Können wir uns treffen? Wenn du Zeit hast. Ich weiß, du hast eine Menge zu tun. Einfach irgendwann.«
Sie blinzelt ein paar Mal.
»Das wäre schön. Ruf mich an.«
»Auf Handy oder Festnetz?«
Pippa lacht.
»Was dir lieber ist.«
Sie sieht kurz auf die Uhr und ist weg, die Treppe hinunter und zur Tür hinaus. Sie stemmt sich auf den Sattel ihres Fahrrads, und Xavier winkt ihr und sieht ihr nach bis oben am Berg, sieht, wie ihr Regenmantel an beiden Seiten flattert und ihre Beine die Pedale antreiben.
Als Xavier sich mit Murray zu den Drinks vor den Drinks trifft, umgibt ihn wattegleich eine Stimmung so dicht an Euphorie, dass er sich fast vorkommt, als hätte er schon eine Flasche Wein intus. In der U-Bahn blickt er gütig auf eine Gruppe rotziger Mädchen, deren Zurufe wie Tennisbälle über die Köpfe der dazwischen festsitzenden Zuschauer fliegen. In dem Bar-Restaurant, wo sie verabredet sind, zuckt er nicht mit der Wimper, als der aufdringliche Kellner fragt, was er essen wolle, und dann sagt: »Nur trinken geht nicht, es ist Samstagabend. Sie müssen etwas zu essen bestellen.«
»Okay, dann esse ich etwas.«
»Ist ja schon irgendwie ein Unverschämtheit«, lamentiert Murray, der das Beste aus der Situation gemacht und sich einen riesigen Teller Lasagne bestellt hat, dazu Pommes Frites, Oliven und eine Portion Knoblauchbrot.
»Die müssen ja auch von irgendwas leben«, erwidert Xavier milde.
»Wie kommt’s, dass du so gut drauf bist?«
»Ich weiß nicht. Ich schätze, ich war eine ganze Weile ziemlich schlecht drauf. Das ist eine Art Comeback.«
»Wenn du sagst, ›eine ganze Weile‹ …«
»Ungefähr fünf Jahre.«
Sie lachen. Murray bohrt nicht gleich weiter, aber Xavier hat von sich aus Lust, mehr zu erzählen. Vielleicht hat diese Straße irgendetwas an sich, das zu Vertraulichkeiten anregt; nur ein paar Häuser weiter hat Maggie Reiss letzte Woche die geheime Affäre ihres Klienten mit Edith Thorne ausgeplaudert.
Murray hört zu, die Schneidezähne in die Unterlippe geschlagen zu einer Miene, aus der beträchtlicher Neid spricht.
»Es geht also weiter? Du wirst sie …?«
»Wir haben jetzt gesagt, wir treffen uns nächste Woche.«
»Heißt das, ihr habt jetzt eine richtige Beziehung?«
»Dazu ist es jetzt wirklich noch zu früh. Fast wäre es ein richtiges Desaster geworden.«
Aber der Blick, den Xavier Murray zuwirft, wirkt um einiges zuversichtlicher. Verwirrt hackt Murray auf seine Lasagne ein, als hätte er das Essen selbst erlegt, sieht seinen Freund prüfend an und sucht nach irgendeiner witzigen Stichelei, aber ihm fällt nichts ein, und in der Zeit, die Xavier zum Bestellen braucht, hat Murray ein fast volles Glas Wein geleert, sich ein weiteres eingeschenkt und auch davon das meiste getrunken.
In der schäbigen Kneipe angekommen, mischen sie sich getrennt unters Volk. Anders als sonst behält Xavier kein Auge auf Murray, der sich geradewegs ins Ellbogendickicht an der Bar schlägt. Der Sender hat zweihundert Pfund für Freigetränke bezahlt, die im Handumdrehen aufgebraucht sind.
Xavier schüttelt die Hand von Anthony, dessen Nasenlöcher so unglücksselig groß sind wie immer.
»Exzellente Sendung, wirklich, exzellente Sendung«, sagt er und bewegt Xaviers Arm auf und ab wie einen Pumpschwengel; sein Ehering drückt hart in Xaviers Finger.
Xavier weiß nicht, ob Anthony seine Sendung in den letzten Jahren tatsächlich mal gehört hat, aber das spielt auch keine Rolle. Kurz darauf wird er seinem Nachfolger vorgestellt, Paul Quillam, ein Mann Anfang vierzig mit einem jungenhaften Grübchen beim Lächeln und einer verwegenen Strubbelfrisur. Er stellt sich Xavier als
Weitere Kostenlose Bücher