Elf Zentimeter
Stimme klang angenehm. Über mir war ein Fenster aufgegangen und ich sah gerade noch einen Schatten weghuschen.
Oben empfing mich Johanna in der Tür. Wie begrüßt man einander in so einer Situation? Wir wussten es beide nicht. Küsschen, als wäre nichts gewesen? Ein Händedruck, als würde man sich noch nicht kennen? Locker, als käme ich zu einer Party?
»Hallo Johanna.«
Wir rührten uns beide nicht.
»Kaffee?«, fragte sie.
Ich stand noch immer im Hausflur. Sie war mindestens ebenso verlegen wie ich.
»Ach, komm doch herein«, sagte sie.
Ehe ich mich in Bewegung setzte, betrachtete ich ihr Gesicht. Vielleicht war sie tatsächlich aufgeblüht. Gut möglich. Ich kannte einfach den Unterschied nicht. Auf jeden Fall sah sie besorgt aus.
Ich zog die Schuhe aus und folgte ihr in die Küche. Ratlos stand ich herum, bis sie auf einen Stuhl deutete. Auf dem Tisch standen zwei Kaffeetassen bereit. Sie schenkte ein und setzte sich. Übergangslos schossen ihr Tränen in die Augen. Sie umklammerte meine Hand und schluchzte los.
»Entschuldigung«, sagte sie.
»Kein Problem.«
»Das ist meine Wohnung«, sagte sie.
Ich nickte.
»Wird es ein Bub oder ein Mädchen?«, fragte ich.
»Das weiß ich nicht.«
»Hast du nicht gefragt?«
»Ich dachte, du lässt dich vielleicht lieber überraschen.«
»Ich würde einen Buben toll finden«, sagte ich.
Sie sah mich neugierig an. Es war das erste Mal, dass ich ihr etwas Persönliches anvertraute.
»Ein Mädchen fände ich genauso toll«, setzte ich schnell nach.
Sie lächelte.
Ihr Gesicht war rot und feucht von den Tränen.
»Das Geschlecht ist eigentlich ganz egal«, sagte ich. »Es soll nur gesund sein.«
Ich versuchte, mich in ihre Lage zu versetzen. Vermutlich stresste sie, was ich gerade gesagt hatte. Wenn das Kind nicht gesund wäre, würde sie sich vielleicht als schlechte Mutter fühlen. Aber dann müsste ich sagen, dass es auch mit meinem Sperma zusammenhängen könnte. Das muss ja auch nicht unbedingt erstklassig sein. Ich vertrieb diese Gedanken.
»Egal, wie es sein wird, ich werde mich auf jeden Fall freuen«, sagte ich.
»Schnaps?«
»Ja, bitte.«
Sie stellte eine Flasche und ein Glas vor mich hin. Ich schenkte mir reichlich ein.
»Es wird schon gutgehen«, sagte ich.
»Klar. Möchtest du hier einziehen?«
Ich konnte nicht gleich antworten. Rasch schenkte ich mir noch einmal ein. Ich dachte an Sabine. Alles andere schien auf einmal bedeutungslos, selbst Johanna mit ihrer Welt, die in Zukunft zu einem Teil auch meine sein würde. Das alles war irrational. Aber Liebe ist eben meistens irrational. Wenn ich Johannas Angebot annähme, wäre das ganz sicher das Ende von allem, zumindest von meinen Träumen mit meiner wahren Liebe.
»Es gibt da eine andere Frau«, sagte ich. »Entschuldige bitte.«
Ich entschuldigte mich gleich mehrmals. Aber die Formulierung war doch gewagt. Als andere Frau konnte ich Sabine, von der ich seit Ewigkeiten schon nichts mehr wusste, ja eigentlich nicht im Ernst bezeichnen.
»Und die andere Frau hat kein Problem damit?«
»Womit?«
»Mit meiner Schwangerschaft und so.«
»Aber nein. Sicher nicht.«
Sabine war es garantiert egal. Ich war ihr insgesamt egal. Warum, das wollte ich Johanna jetzt nicht erzählen. Wir kannten uns nicht so gut. Eigentlich gar nicht. Es hatte auch nichts mit ihr zu tun. Es war vermutlich leichter für sie, wenn sie dachte, ich wäre in einer festen Beziehung.
»Du kannst mich aber immer anrufen«, sagte ich.
»Danke.«
Wir schwiegen kurz.
Dann stand noch immer das leidige finanzielle Thema zur Klärung an.
»Was tust du eigentlich so?«, fragte ich.
»Was sollte ich tun?«
Johanna klang jetzt leicht verbittert.
»Arbeitsmäßig«, sagte ich.
Sie hatte in einem Modeladen gearbeitet, gekündigt, um etwas Besseres zu finden, und arbeitete jetzt wieder in einem Modeladen, aber in einem anderen. Der zweite Modeladen war eine Tochterfirma vom ersten, also war in jeder Hinsicht wieder alles beim Alten.
»Und was macht das Kabarett?«, fragte sie.
»Es läuft«, sagte ich.
Ich wollte ihr signalisieren, dass ich meinen Teil für das Kind bezahlen würde.
Sie blickte mich überrascht an. Dann erwähnte sie beiläufig, dass sie vor Kurzem auf meine Homepage geschaut hatte. Dort musste sie gesehen haben, dass derzeit keine Auftritte anstanden. Das war mir peinlich.
»Ich arbeite an einem neuen Programm«, sagte ich schnell.
»Worüber?«
Ich könnte gemeinsam mit der Prostituierten
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