Elf Zentimeter
auftreten, die jede Schwanzlänge weiß, schoss mir durch den Kopf. Sie, da unten in der dritten Reihe! Zwölf Zentimeter. Vielleicht würde sie sogar Kommastellen angeben. Wir könnten es so machen, dass sie auf ihre wahre Schätzung jeweils drei Zentimeter drauflegte. Dann würde jeder Mann ihr Ergebnis freundlich abnicken. Andererseits gesundete die Welt nun einmal an der Wahrheit und das Kabarett spielte seine Rolle dabei.
»Ist noch ein Geheimnis«, sagte ich.
»Dann viel Erfolg.«
»Keine Sorge. Ich arbeite jetzt im Sommer als Urlaubsvertretung bei der Post. Im Herbst fange ich wahrscheinlich wieder bei der Bahn an.«
Das mit der Bahn war eigentlich nach wie vor mehr als ungewiss, aber in diesem Moment war ich ganz sicher, dass eine Stelle für mich frei sein würde.
»Ich kann 250 Euro im Monat beisteuern«, sagte ich.
Ich wusste nicht, ob das zu wenig oder zu viel war. Johanna hatte sich aber bereits schlaugemacht.
»Das ist eine gute Summe«, sagte sie. »Etwas mehr als vorgeschrieben.«
Die vorgeschriebene Summe würde mit dem Alter des Kindes einmal steigen und dann wieder sinken, sagte sie, und dass sie jedenfalls ganz zufrieden wäre, wenn ich zuverlässig an jedem Monatsbeginn 250 Euro überweisen würde. Sie gab mir ihre Kontonummer und ich trank noch ein Glas Schnaps.
Wir schwiegen uns wieder an. Ich trank ein weiteres Glas und wurde auf einmal sehr euphorisch und gesprächig. Ich fragte Johanna, wie sich ihr Körper mit der Schwangerschaft verändert habe, ob die Geschichten über die Appetitverwirrungen stimmten, welche Namen sie sich für das Kind überlegt hatte, was ihre Eltern zu der Situation sagten und so weiter. So plauderten wir, bis es spät wurde und ich völlig betrunken war.
Zum Abschied umarmte mich Johanna lange und intensiv. Ich spazierte eine ganze Weile durch Hafnerbach, um meine Fahrtüchtigkeit einigermaßen wiederherzustellen. Die Luft war angenehm kühl und frisch. Es wehte ein Wind, der gleichzeitig nach Polarmeer und Südseeinseln zu duften schien. Ich fühlte mich wie in einem Traum. Ich würde Vater werden. Einfach so. Ohne mit der Mutter wirklich etwas gehabt zu haben. Die Natur ist schon eigenartig. Bei den Schimpansen bekommen die Männchen mit den größten Eiern, die mit der größten Samenproduktion, den meisten Nachwuchs. Bei den Gorillas setzen sich die wildesten und stärksten durch, die ihre Rivalen mit roher Gewalt von den Weibchen fernhalten können. Beim Menschen ist das offenbar komplizierter. Früher einmal hatte ich geglaubt, dass Kinder durch Liebe und Heirat entstehen. Aber weder hatte es etwas wie romantische Liebe zwischen Johanna und mir gegeben, noch hatten wir geheiratet. Ich besaß auch keine kolossalen Eier und schon gar nicht war ich wild und hünenhaft. Trotzdem war jetzt ein Kind unterwegs, als ob es herbeigezaubert worden wäre. Es war Balsam für mein wundes Selbstbewusstsein. Ich würde es dem Kind danken.
Eine Weile hörte ich dem Wind in den Ästen der kahlen Apfelbäume zu. Als ich mich halbwegs nüchtern fühlte, stieg ich ins Auto. Knapp vor Hainfeld geriet ich in ein Planquadrat der Polizei. Alkotest.
Ich strahlte die Beamten an.
»Ich bin gerade Vater geworden«, sagte ich.
Das war leicht übertrieben, aber es funktionierte.
Der Beamte beriet sich mit seiner Kollegin.
»Wie weit wollen Sie noch fahren, Herr Scheiblecker?«, fragte er mich schließlich.
Ich versuchte, so verständlich wie möglich zu lallen.
»Hainfeld.«
»Wenn Sie den einen Kilometer zu Fuß gehen und das Auto hier lassen, haben wir nichts gesehen«, sagte er.
»Sie sind Briefträger in Traisen, nicht wahr?«, sagte die Beamtin.
Ich nickte und bedankte mich herzlich. Die beiden gratulierten mir.
»Wie heißt das Kind denn?«, fragte der Polizist, als ich das Auto abschloss.
»Fabian.« Es war der erste Name, der mir einfiel. Wahrscheinlich war er auf Johannas Liste gestanden. Genau erinnerte ich mich nicht.
»Mein Cousin heißt auch Fabian«, sagte der Polizist. »Aber jetzt los. Ich will Ihretwegen keine Schwierigkeiten bekommen.«
Meine Eltern schliefen schon. Genau wie ich mussten sie am nächsten Morgen um vier Uhr aufstehen. Nur meine Großmutter war noch wach. Ich freute mich mit einem Mal, mein Geheimnis nicht nur mit dem Sicherheitsapparat, sondern auch mit einem Familienmitglied teilen zu können, und erzählte ihr alles. Sie war dermaßen begeistert, dass sie sofort meine Eltern wecken wollte. Im letzten Moment konnte ich es
Weitere Kostenlose Bücher