Elfen-Jagd
Abfall erschien ihm inzwischen eßbar und lecker, und er hatte nichts abbekommen. Natürlich würde er sowieso nichts anfassen, was mit einer Harpyie in Berührung gekommen war; die verdarben zehnmal mehr Nahrung, als sie auffraßen, indem sie das Übriggebliebene mit ihrem giftigen Kot beschmierten. Harpyien waren die schmutzigsten Vögel der Welt. Tatsächlich war es sogar so, daß sich alle richtigen Vögel weigerten, mit diesen hexenköpfigen Monstern etwas zu tun zu haben.
Der Flügeldrache gab einen matten Feuerrülpser von sich und brach zusammen. Von unogerhaftem Mitleid bewegt, schritt Krach zu ihm hinüber. »Kann ich irgend etwas für dich tun?« fragte er. Es war eine Geste von Ungeheuer zu Ungeheuer. Doch der Flügeldrache verschied einfach nur.
Sofort scharten sich die anderen Gefangenen zusammen und machten sich über ihn her; Drachenfleisch war immer noch besser als der Hungertod. Angewidert von der Vorstellung, daß ein solch prächtiges Kampftier so ruhmlos vertilgt werden sollte, ballte Krach eine Faust, um den Leichnam zu verteidigen. Doch die Aasvögel stürzten sich wie die Geier im Schwarm von allen Seiten gleichzeitig auf den toten Drachen; alles geschah so schnell, daß Krach nichts mehr dagegen ausrichten konnte. Einen Augenblick später war nur noch ein Knochengerippe übrig. Wahrscheinlich war sein Eingreifen von Anfang an sinnlos gewesen, aber nun wußte er, daß er nur seine Energie verschwendet hatte. Krach begab sich wieder zurück an seinen Ort.
Am nächsten Morgen verspürte Krach einen Riesenhunger, genau wie seine überlebenden Mitgefangenen. Gierig musterten sie einander heimlich, um abzuschätzen, wann einer von ihnen zu schwach werden würde, um sich gegen das Aufgefressenwerden zu wehren. Als der Wächter mit dem Kübel ankam, stolperte der Gnom auf ihn zu. »Essen! Essen!« krächzte er.
Der Wächter hielt inne und musterte den Gnom zynisch. »Bist du bereit zu zahlen!«
»Ich werde zahlen! Ich werde zahlen!« willigte der Gnom mit schuldbewußtem Eifer ein.
Der Wächter griff durch die Feuerstäbe in den Leib des Gnoms hinein. Dann holte er die widerstrebende Seele hervor, ein ausgemergeltes, zerrupftes Ding, das sich langsam zu einer blassen Kugel verdichtete. Der Wächter musterte sie eindringlich, um sicherzugehen, daß sie vollständig war, dann stopfte er sie achtlos in einen schmierigen Sack. Als nächstes setzte er den Kübel ab und winkte die Harpyien davon. Die kreischten protestierend, gehorchten aber. Bis auf eine allerdings, die sich so weit vergaß, daß sie auf die verlockenden Abfälle zuschoß. Die Augen des Wächters funkelten finster, und die Harpyie wich entsetzt und kreischend zurück, um schließlich hoch davonzufliegen, wobei sie in ihrer Eile mehrere ölige Federn verlor. Krach fragte sich, was sie wohl so erschreckt haben konnte, denn normalerweise hatten Harpyien vor nichts Respekt, und der Wächter war nur ein gewöhnlicher Mensch oder zumindest eine einigermaßen gelungene Nachbildung eines Menschen.
Der Gnom steckte den Kopf in den Kübel und schlang gierig die Abfälle in sich hinein. Endlich hatte er sein Essen, nachdem er dafür bezahlt hatte.
Der Wächter drehte sich um und blickte Krach an. Seine Augen glitzerten böse, und Krach erkannte, daß er es mit einem weiteren Aspekt des Nachthengstes zu tun hatte, der gerade die Runde machte und Seelen einsammelte.
Jetzt verstand Krach auch, worum es bei dieser Prüfung ging. Er beschloß, sein Leben nicht um diesen Preis zu erkaufen. Denn wenn er seine Seele hier verlor, würde er sie überall verlieren, und dann würde er Chem und Tandy nicht mehr zur Flucht verhelfen können. Doch er wußte auch, daß dies die schwerste Prüfung von allen werden würde. Jedesmal wenn der Hengst vorbeikam, würde Krach noch hungriger sein, und der Kübel mit Abfällen würde zu einer immer stärkeren Verlockung werden. Wie konnte er sichergehen, daß er auch dann noch durchhalten würde, wenn der Hunger seine Muskeln schlaff werden ließ und ihm seine letzte Willenskraft raubte? Hier ging es nicht um eine einmalige Anstrengung, sondern um ein Aushungern, eine Belagerung – und der Hunger eines Ogers war noch schrecklicher als seine Kraft.
Die Sonne schob sich schnell über das Firmament und sah selbst ziemlich unterernährt und irritiert aus. Sie verpaßte ein paar unschuldigen Wolken, die ihr im Weg waren, einen Tritt und versengte eine von ihnen, so daß sie den Halt verlor und den Boden benäßte. Es
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