Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
Linke legte sich um den Schwertgriff, während er sich mit der Rechten den Sand aus den Augen rieb. Dieses seltsame, rote Etwas kam immer näher und schließlich vermochte Edro zu erkennen, was es war. Es war ein Schiff. Ein rotes Schiff. Es sah äußerst merkwürdig aus, denn nirgends konnte Edro eine Besatzung erkennen. Auch kannte er kein Volk, das seine Schiffe rot anstrich.
Trotz des Windes hingen die Segel schlaff von den Masten. Wie ein riesiger Fisch durchpflügte es die See - aber offenbar ohne die Kraft seiner Segel. Edro schüttelte den Kopf. Nein, ein so seltsames Schiff hatte er noch nicht gesehen. Dann verschwand es langsam wieder in der Ferne. Trotz seiner offensichtlichen Fremdartigkeit war Edro das Schiff irgendwie vertraut vorgekommen. Wohin mochte dieses Schiff fahren? Nach Elfénia?
"Was starrst du so auf das Meer hinaus, Edro?", fragte eine seltsam vertraute und doch zugleich fremde Stimme. Langsam wandte sich Edro um, aber da war niemand.
"Wo bist du?", rief er.
"Ich bin hier", erwiderte die Stimme. Edro fragte sich, an wen ihn diese Stimme erinnerte. Er war sich vollkommen sicher, sie bereits vernommen zu haben.
"Ich sehe dich nicht!"
"Das macht nichts!" Edros Hand war am Schwertknauf, aber irgendwie spürte er, dass diese Stimme ihm nicht böse gesonnen war.
"Warum schautest du auf das Meer hinaus, Edro?", wiederholte die Stimme jetzt ihre Frage. Edro schwieg zunächst. Er war ratlos. Und wieder fragte er sich, ob dies nun die Realität oder ein böser Traum war. Vielleicht war es beides?
"Was suchten deine Augen am Horizont?"
"Ein Schiff."
"Ein rotes Schiff? War es rot?" Ein seltsamer Unterton schwang in diesen Worten der Stimme mit. War es Spott? Oder Furcht? Oder etwas anderes? Einen Augenblick zögerte Edro deshalb mit seiner Antwort.
"Ja, es war ein rotes Schiff."
"Hast du es gesehen, Edro?"
"Ja." Edro glaubte jetzt, ein leises, unterdrücktes Stöhnen zu hören.
"Weißt du etwas über dieses Schiff?", fragte der Dakorier dann.
"Auf ihm reisen die Verrückten und Wahnsinnigen. Es ist ein schreckliches Schiff. Magie steckt in ihm. Sahst du die Segel? Sie hingen schlaff von den Masten, obwohl der Wind blies und das Schiff fuhr. Eine magische Kraft treibt es vorwärts immer weiter seinem dämonischen Ziel entgegen."
"Wohin segelt das rote Schiff?", fragte Edro jetzt die Stimme.
"Wohin es segelt, willst du wissen, Edro? Sein Ziel ist ein Land, das es gar nicht gibt."
"Wie ist sein Name?"
"Dieses Land besitzt tausend Namen - und einer ist schrecklicher als der andere." Dann wurde die Stimme abrupt leiser. Edro konnte ihre letzten Worte nicht mehr verstehen. Noch mehrmals fragte er nach dem Namen des Landes, zu dem das rote Schiff segelte, aber schließlich waren nur noch das Rauschen des Ozeane und das Pfeifen des Windes um ihn herum. Niemand antwortete ihm. Er war wieder allein. Da schlug Edro die Augen auf. Er war schweißgebadet, obwohl es durchaus nicht warm war. Es war schon heller Tag und Mergun hatte bereits den Großteil ihrer Sachen zusammengepackt. Benommen stand er auf, nahm einige Bissen zu sich und blickte düster auf die Asche des in der Nacht abgebrannten Feuers. Edro wusste selbst nicht so recht, warum ihn dieser Traum so sehr mitgenommen hatte. Er wusste doch schließlich nun, dass alles nur ein Traum gewesen war.
Als Kiria ihn ansah, zuckte er etwas zusammen. Eine unbewusste Angst stieg in ihm auf. Die Stimme... Aber die Erinnerung an den Traum verblasste rasch wieder zu einem äußerst unscharfen Bild, auf dem nur noch die gröbsten Einzelheiten zu erkennen waren. Dann ging er zum Flussufer, wo er Mergun und Lakyr dabei half, das Boot zu Wasser zu lassen. Wenig später schon ruderte die kleine Gruppe ihr Gefährt weiter Flussaufwärts. Ihre Reise ging relativ schnell voran -
aber das würde sich bald ändern, wenn sie die großen Wälder von Yumara erreichten. Edro redete an diesem Tag nicht viel. Er saß stumm im Heck des Bootes und stieß das kleine Boot mit seinem Paddel vorwärts. Aber seine Gedanken waren ganz woanders, das sah man sehr gut. Er beobachtete, wie sich die Gräser unter dem Wind bogen und Äste und Blätter mit der Strömung des Flusses fortgerissen wurden. Aber sie fuhren gegen den Strom. Alle paar Stunden legten sie an Land an und machten eine kurze Rast. Am Nachmittag schließlich erreichten sie den großen Wald. Uralte, knorrige Bäume beugten sich über den Fluss und blickten drohend auf das kleine Boot herab. Der Wechsel
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