Elfenblick
stellte sie fest, dass sie sich wieder in einer Nische befand, die von dem Hauptgang abging und die sie in ihrer Eile und Panik gar nicht bemerkt hatte. Schon schob Ondulas sich vor sie und verdeckte ihren Körper mit dem seinen. Allerdings war diese Nische winzig ‒ auch wenn Mageli sich so flach wie möglich an die Wand drückte, war Ondulas sicher als Schatten von außen zu sehen. Die Gegner mussten schon blind oder blöd sein, um dieses Versteck nicht zu bemerken.
Ondulas wandte den Kopf zu ihr und legte seine Hand auf Magelis. Wollte er sie beruhigen? Im selben Moment zog er seine Hand schon wieder fort, und Mageli bemerkte, dass das verräterische Glimmen des Leuchtsteins, den sie noch immer umklammert hielt, erloschen war. Keine Sekunde zu früh. In diesem Moment waren die fremden Stimmen direkt vor dem Eingang zu ihrer Nische angelangt.
Mageli stand ganz steif und versuchte, nicht zu atmen. Auch Ondulas wirkte wie erstarrt. Sie lauschten. Zwei Stimmen, die abwechselnd sprachen. Zwei Paar Füße, die lautstark voranschritten. Mageli war froh, dass sie hier in diese Nische gequetscht standen und die beiden Fremden mit ihren dreckigen Witzen so beschäftigt waren, dass sie es nicht bemerkten. Denn die Schritte gingen vorbei, die Stimmen wurden wieder leiser. Da sprang Ondulas mit einem Mal aus seinem Versteck hervor.
Der Schreckensschrei blieb Mageli im Hals stecken. Der Elf war bereits in der Dunkelheit verschwunden, bevor sie überhaupt realisiert hatte, was er da tat. Ondulas war definitiv verrückt geworden!
Vom Gang erklang das Klirren von Klinge auf Klinge. Die beiden Fremden stießen wütende Beschimpfungen aus, von Ondulas hörte Mageli dagegen keinen Ton. Sollte sie in ihrem Versteck bleiben? Oder Ondulas zu Hilfe kommen? Aber welche Hilfe konnte sie schon anbieten? Mageli machte einen Schritt nach vorn und versuchte, einen Blick auf das Geschehen im Gang zu erhaschen, ohne dass die fremden Männer sie bemerkten. Als sie ihren Kopf vorsichtig aus der Nische streckte, war der Kampf allerdings schon so gut wie vorüber. Mageli sah gerade noch, dass Ondulas mit einer einzigen eleganten Bewegung den beiden Dunkelelfen nacheinander ihre schwarzen gezackten Klingen aus den Händen schlug, dann hörte sie die Fremden aufstöhnen, worauf sie nacheinander wie gefällte Bäume zu Boden fielen und liegen blieben.
Ondulas streifte das dunkle Blut, das an seinem Schwert klebte, am Hosenbein des einen Gegners ab, betrachtete die grün funkelnde Klinge einen Augenblick versonnen, schob die Waffe wieder in die Scheide und ließ seinen langen Umhang darüberfallen. Mit drei schnellen Schritten war Mageli bei ihm und stieß ihn unsanft gegen die Schulter.
»Was hast du dir nur dabei gedacht? Sie waren doch schon an uns vorbeigegangen. Sie hätten uns sicher nicht bemerkt. Aber du stürmst einfach hinterher und bringst dich in Gefahr«, platzte sie heraus. Erst jetzt wurde ihr bewusst, welche Angst sie in den wenigen Augenblicken, die der Kampf währte, um Ondulas ausgestanden hatte.
»Gefahr, pah!«, erwiderte Ondulas und zwinkerte ihr verschmitzt zu, als wäre nichts passiert. »Zwei gegen einen. So miserabel wie die meisten Dunkelelfen mit dem Schwert hantieren, war es höchstens unfair, dass ich ihnen nicht die Chance gegeben habe, nach Verstärkung zu rufen.«
Mageli schüttelte bloß den Kopf über so viel Selbstgefälligkeit. Als ob er sich oder ihr etwas beweisen müsste …
»Können wir jetzt weiter?« Ondulas’ Augen blitzten noch immer vor Kampfeslust.
»Meinetwegen«, entgegnete Mageli kurz angebunden und marschierte los, ohne sich nach Ondulas umzublicken. Er musste ja nicht gleich merken, dass sie ihm bereits verziehen hatte.
Sie bog um die nächste Kurve – und wusste augenblicklich, dass sie und Ondulas soeben einen riesigen Fehler begangen hatten. Sie waren laut gewesen. Sie waren unaufmerksam gewesen. Und unvorsichtig!
Nur etwa zehn Meter vor ihnen stand ein Monster im Gang, ein Wesen, wie es Mageli noch nie gesehen hatte. Auf den ersten Blick sah es aus wie eine Eidechse. Aber es war bestimmt zwei Meter hoch, mit einem gewaltigen Kopf, der unruhig hin- und herpendelte, und einem massigen grünen Leib, aus dem die Beine wie Baumstämme herauswuchsen. Was das für die Größe seines Schwanzes bedeutete, mochte Mageli sich gar nicht ausmalen. Seine glänzenden Schuppen bildeten einen natürlichen Panzer, und im breiten Maul trug es die effektivsten Waffen, die man sich vorstellen konnte:
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