Elfenblick
erschien ihr mit einem Mal völlig unreal. Ein Albtraum.
Aber da lagen die Leichen der Dunkelelfen zerfetzt und zermalmt vor ihren Füßen. Kein schöner, aber ein sehr realer Anblick!
Und auch Ondulas trug unübersehbare Spuren des Kampfes. Er hatte mehr abbekommen, als Mageli während des schnellen Gefechts bemerkt hatte. Seine Kleidung war an mehreren Stellen eingerissen, und quer über seine linke Wange führte ein Schnitt, aus dem einzelne Blutstropfen quollen und zu seinem Kinn hinunterliefen. Besonders sein rechtes Bein, das Bekanntschaft mit dem Dunkelelfenschwert gemacht hatte, bereitete Mageli Sorgen.
Die Hose war zerfetzt, und soweit Mageli erkennen konnte, als sie neben Ondulas kniete, um ihn zu untersuchen, klaffte darunter eine tiefe Fleischwunde. Am liebsten hätte sie ihn an Ort und Stelle verbunden, ihm noch lieber eine von Rikjanas Heilpasten aufgetragen. Doch sie hatten nichts Entsprechendes dabei – wie leichtsinnig! –, und außerdem wehrte Ondulas genervt ab, als sie ihn bat, die Hose auszuziehen, damit sie die Wunde besser sehen konnte.
»Das ist nichts«, erklärte er betont fröhlich. »Diese Dunkelelfenklingen können mir nichts anhaben. Los jetzt, wir müssen sehen, dass wir weiterkommen.«
Als wäre nichts passiert. Als hätte er nicht gerade gegen sieben Männer gekämpft. Und als wäre ihnen nicht eine Monsterechse zu Hilfe gekommen, die sie nach allen Gesetzen der Logik eigentlich hätte angreifen müssen. Na gut, auch Mageli konnte so tun, als wäre nichts geschehen. Sollte Ondulas doch selbst sehen, wie er mit seinem verletzten Bein vorankam. Schweigend machten sie sich auf den Weg.
Nach kurzer Zeit erreichten sie eine Abzweigung und verließen den breiteren Gang, um wiederum in einen schmalen, schlecht beleuchteten Tunnel abzubiegen. Dieser führte um zahlreiche Kurven, einige Stufen hinauf und wieder hinab, es folgte eine weitere Abzweigung, ein weiterer Tunnel und noch einer, bis Mageli schließlich sicher war, dass sie trotz ihres guten Orientierungsgefühls nie mehr allein den Weg in die Elfenstadt finden würde.
Ondulas machte gar keinen guten Eindruck. Schon nach kurzer Zeit wurde der Elf langsamer, dann begann er leicht zu humpeln. Sein Hosenbein war inzwischen blutgetränkt und sein blasses Gesicht hatte eine ungesunde gräuliche Farbe angenommen. Immer wieder warf Mageli einen besorgten Blick in seine Richtung. Mit verschlossener Miene schleppte Ondulas sich neben ihr her. Sie hätte ihm gern angeboten, dass er sich auf sie stützen könne, aber vermutlich hätte er auch das abgelehnt. Warum war er bloß so stur!
Sie waren bereits eine ganze Weile stumm nebeneinander hergegangen, als Ondulas stehen blieb. Mageli rechnete schon damit, dass er nun aufgeben oder sie zumindest um eine Pause bitten würde, aber Ondulas schien nur angespannt zu lauschen.
»Hörst du?«, fragte er sie schließlich.
Mageli spürte Panik aufsteigen. Noch mehr Dunkelelfen? Doch sosehr sie auch horchte, sie konnte keine Stimmen und keine Schritte erkennen. Nur ein leises, gleichmäßiges Rauschen.
»Wasser?«, fragte sie erstaunt.
»Ja. Wir müssen gleich da sein.«
Tatsächlich. Das Rauschen wurde mit jedem Schritt lauter, und als sie schließlich um die nächste Biegung kamen, öffnete sich vor ihnen eine große Höhle, die von einem See ausgefüllt wurde. Mageli und Ondulas standen an einem schmalen Strand, an den träge die Wellen schwappten. Auf der gegenüberliegenden Seite stürzte ein gewaltiger Wasserfall mit lautem Tosen aus der Höhlendecke. Die Wasserfront erstreckte sich über die gesamte Breite der Höhle. Und irgendwie kam Mageli der Anblick vertraut vor … Richtig! Diese Höhle mit dem See und dem Wasserfall hatte sie bereits durch die Augen der kleinen Eidechse gesehen, die ihr den Weg nach Enigmala gewiesen hatte.
Und diese Höhle voller Wasser sollte ihr Ziel sein? Hier sollte die weise Alawin leben? Es gab kein Haus und keine Hütte, nicht einmal weitere Tunnel oder Nischen in den felsigen Wänden, in denen sich jemand eine Behausung hätte einrichten können.
Ondulas hatte sich auf den sandigen Untergrund sinken lassen und Mageli beobachtete ihn mit einer Mischung aus Besorgnis und Verärgerung. Wohin hatte der Elf sie bloß geführt? Und warum hatte sie ihm so blind vertraut? Er hatte ihr selbst gestanden, dass er den Weg nicht genau kannte und noch niemals bei Alawin gewesen war. Aber sie wollte jetzt nicht mit ihm streiten, Ondulas sah wirklich schlecht aus.
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