Elfenblick
wollte ihn auf keinen Fall wecken. Alawin war auf unbestimmte Zeit verschwunden. Mageli kam sich auf einmal schrecklich unnütz vor. Schon wieder verschwendete sie wertvolle Zeit. Dabei sollte sie doch Magie lernen!
Sie erhob sich und ging mit möglichst leisen Schritten zu dem ersten der drei offenen Torbögen, die aus dem Hauptraum hinausführten. Neugierig linste sie hindurch. Dahinter lag ein Raum, der aussah wie eine Mischung aus Küche und Labor. In hohen Regalen türmten sich Fläschchen, Tiegel, Schüsseln und Schalen. Kelche, geformt wie Hörner, waren in speziellen Halterungen an der Wand befestigt, daneben hingen Bündel schmaler Zweige und getrockneter Pilze. Auf einem langen Holztisch in der Mitte stapelten sich weitere Schüsseln und Teller, Flaschen und Karaffen, dazwischen lagen aufgeschlagene Bücher und zahlreiche Zutaten, für die Mageli die Namen fehlten. Was für ein Chaos! Das hätte sie der so edel wirkenden Elfe gar nicht zugetraut. Auf einem Regal am anderen Ende des Raumes standen mehrere große Terrarien. Soweit Mageli erkennen konnte, wohnten in einem davon zwei kleine Eidechsen, in einem weiteren eine schmale, rot gemusterte Schlange, die träge über einem Ast hing und zu schlafen schien, und in einem dritten sprangen mehrere graue Mäuse herum. Ob Alawin die Tiere für irgendwelche Versuche benötigte? Hoffentlich nicht!
Der nächste Raum war Alawins Schlaf- und Studierzimmer. Mageli sah ein breites Lager am Boden, auf dem sich die Kissen türmten, sowie einen schweren Schreibtisch und einen breiten, gemütlichen Sessel davor – ebenfalls voll mit den unvermeidlichen Kissen. Eine fußballgroße Kugel auf dem Schreibtisch zog Magelis Blick auf sich. Sie schimmerte in den verschiedensten Farben und strahlte dabei ein reines weißes Licht ab. Noch bevor Mageli näher treten und die wundersame Kugel untersuchen konnte, sah sie aus dem Augenwinkel Alawin, die den Raum durch eine zweite Tür betrat, einen Stapel in Leder gebundener Bücher in den Händen. Schnell duckte Mageli sich hinter den Torbogen.
Blieb noch ein dritter Raum zu erkunden. Es war der größte von allen, fast ebenso groß wie der Hauptraum und fast ebenso hoch. Bis hinauf zur Decke erhoben sich an allen Seiten Schränke aus dunklem Holz, angefüllt mit Büchern. Diese waren in dunkelbraunes Leder eingebunden, an manchen Stellen war das Material bereits brüchig geworden, über viele Buchrücken kroch Staub und längst nicht überall standen die Bücher in Reih und Glied. Oft waren die dicken Bände kreuz und quer in die Borde geschoben worden, einige stapelten sich sogar auf dem steinernen Boden, und ein paar lagen aufgeschlagen auf einem massiven Holztisch, der zwischen all den riesigen Regalen etwas verloren wirkte.
Mageli atmete tief ein. Das war mit Abstand die schönste Bibliothek, die sie jemals gesehen hatte. Gar nicht vergleichbar mit der Stadtbücherei in Neuenburg, in der sich fast ausschließlich zerfledderte Taschenbücher herumdrückten und die wenigen Hardcover in Plastikfolie eingeschweißt waren. Und natürlich auch nicht zu vergleichen mit dem Lager von Herrn Finger, wo alle Bücher völlig ungeordnet in dreckigen Metallregalen zusammengequetscht wurden. Nein, das hier war etwas ganz Besonderes.
Mageli konnte kaum noch stillstehen. Diese Bücher schienen sie zu rufen: Komm her, schau uns an, lies uns, entdecke unsere Geheimnisse! Aber durfte sie das? Durfte sie einfach so in Alawins privater Bibliothek herumstöbern? Andererseits hatte die weise Elfe ihr nicht ausdrücklich verboten, sich umzusehen. Sie hatte ihr nur geraten, sich ein wenig auszuruhen. Und ausruhen konnte Mageli sich seit jeher am besten beim Lesen …
Ehrfürchtig ging sie an den hohen Regalen entlang, betrachtete die Rücken, ließ ihren Zeigefinger darüberfahren und entdeckte, dass längst nicht alle Bücher in dunkles Leder eingebunden waren. Einige Bände hatten Umschläge aus dem schuppigeren grauen und grünlichen Leder, aus dem die Stiefel, Schuhe und Gürtel der Elfen hergestellt waren. Einige wenige stachen aus der Masse durch dunkelrote oder schwarze Einbände hervor. Doch kein einziges Buch trug auf seinem Rücken einen Schriftzug oder wenigstens eine Markierung. Wie fand Alawin sich hier bloß zurecht?
Wahllos zog Mageli einen der Bände aus dem Bord, musste aber schnell feststellen, dass sie nicht einfach im Stehen darin blättern konnte, dafür war das Buch zu groß und zu schwer. Sie schob es zurück und schlenderte
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