Elfenblick
Wenn du nur die Vermittlerin bist?«
»Dieses letzte Orakel, das da vor dir aufgeschlagen liegt …« Alawin sah mit einem Mal müde aus. »… es entsprach nicht der Wahrheit. Die Königin hat einen Sohn geboren, wie du ja am besten weißt. Das allein wäre vielleicht nicht so schlimm gewesen, aber nach Erins Geburt hat sich ihr Gemüt immer weiter verfinstert. Ich fürchte, sie hat es sich schwer zu Herzen genommen, dass sich das Orakel nicht erfüllte. Dass sie das Orakel nicht erfüllte. Als der Prinz fünf Jahre alt war, starb die Königin. Es hieß, sie sei krank gewesen. Aber ehrlich gesagt glaube ich das nicht.« Alawin atmete tief durch. »Danach hat man mich mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.«
Mageli nickte mitfühlend. Das war wirklich ungerecht! Auch wenn die Geschichte von Erins Mutter furchtbar traurig war. Alawin konnte doch nichts dafür, wenn ein Orakel sich nicht erfüllte.
»Nun, vorbei ist vorbei.« Alawin klatschte in die Hände, als wollte sie damit die trüben Gedanken verscheuchen. »Ich habe etwas herausgefunden, was dich sicher interessieren wird.«
Mit einer einladenden Handbewegung bedeutete sie Mageli, in den Sternenkuppelsaal vorauszugehen.
Noch immer schlief Ondulas auf der Steinbank. Alawin wies zu dem spiegelnden Tisch, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag – ein sonderbares Buch: Die Buchstaben waren in blutroter Tinte geschrieben und die Schrift so verschlungen, dass Mageli sie auch bei genauerem Hinsehen nicht entziffern konnte. Fragend schaute sie Alawin an. Auf einen weiteren Wink der alten Elfe hin setzte sie sich an den Tisch.
»Ich habe wie gesagt einige meiner Bücher konsultiert«, fing Alawin zu erklären an und setzte sich ebenfalls auf einen Stuhl. »Und das, was ich gelesen habe, bringt mich zu der Vermutung, dass Fürst Ferocius Prinz Erin im Traumverlies gefangen hält.«
»Er hält ihn wo gefangen?«
»Im Traumverlies«, wiederholte Alawin.
»Und was bitte soll das sein?«
»Das Traumverlies gehört zu einer sehr alten, sehr dunklen Form von Magie. In diesem Werk«, sie deutete auf den Band vor ihnen auf dem Tisch, »steht es beschrieben. Du findest in diesem Buch viele Ausprägungen schwarzer Magie. Sehr interessant, wenn du mich fragst, aber natürlich nicht sehr nachahmenswert.«
Mageli rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Hoffentlich kam Alawin bald zur Sache.
»Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass einige wenige Elfen die Gabe der Traumwandelei besitzen. Du erinnerst dich: So bist du Prinz Erin ja überhaupt begegnet.«
Mageli nickte und Alawin fuhr fort: »Darüber hinaus benötigt ein Magier die Fähigkeit der Beeinflussung auf höchster Stufe. Nur so kann er einen Gegner ins Traumverlies bannen.«
Irritiert zog Mageli die Augenbrauen zusammen.
»Rikjana hat dir bislang nur wenig über die Beschaffenheit der Magie erklärt, oder?«
»So gut wie gar nichts.«
»Hm. Dann ist es schwierig zu verstehen. Hast du etwas dagegen, wenn ich dir zunächst den Aufbau unserer magischen Fähigkeiten erläutere?«
Mageli hatte durchaus etwas dagegen, dass sie nicht sofort erfuhr, wo der Schattenfürst Erin eingesperrt hatte. Andererseits konnte sie nun endlich mehr über elfische Magie lernen. Also schüttelte sie nur stumm den Kopf. Alawin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und faltete die schmalen Hände in ihrem Schoß.
»In unserer Magie geht es darum, sich dem anderen mitzuteilen«, begann sie. »Du hast unsere Elfenstadt gesehen. All diese Bauten, die ganze Struktur von Enigmala haben wir dem Wurzelholz durch unsere bloße magische Konzentration vermittelt.«
Mageli nickte wieder. Ja, das hatte Ondulas ihr bereits erklärt. Und nachdem es ihr selbst gelungen war, aus nichts ein Feuer zu entzünden, verstand sie etwas besser, wie diese magische Konzentration funktionierte.
»Das ist die Ebene der sachlichen Magie«, fuhr Alawin fort. »Wir teilen unsere Wünsche und Vorstellungen den Dingen mit. So bringen wir die Steine dazu zu leuchten und das Wasser, sich zu teilen, wenn wir es wollen.«
Der Wasserfall, richtig! Jetzt wurde Mageli klar, wie es sein konnte, dass er sich in der Mitte geöffnet hatte.
»Auf der nächsten Ebene steht die Kommunikation mit Tieren. Tiere sind lebendige Wesen mit einem eigenen Willen. Ihnen unsere Wünsche mitzuteilen, ist deutlich schwieriger, als es in der dinglichen Welt der Fall ist. Sich mit ihnen zu verständigen, ist eine Sache, ihnen eine Handlung zu befehlen, eine weitere. Diese Ebene der
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