Elfenblick
kommen.«
Jemand schnaufte aufgebracht, ein Rascheln und dann die schnellen Schritte mehrerer Füße.
Leiser, vermutlich waren sie schon auf dem Weg nach draußen, hörte Mageli noch einmal Belenas Stimme: »Seltsam ist nur, dass der Schattenfürst jetzt, wo der Weg für seinen Angriff frei ist, ganz plötzlich verschwunden ist …«
Mageli öffnete die Augen. Die Stimmen waren nicht mehr zu hören. Auch das wilde Wirbeln der Nebelmassen hatte aufgehört. Mageli brauchte einen Moment, bis sich ihre Augen wieder an das gleißend helle Weiß gewöhnt hatten. Dann sah sie ihn.
»Erin!«
Nur wenige Meter von ihr entfernt hockte der Elfenprinz auf dem Boden, die Knie angezogen, Arme und Kopf daraufgelegt.
Magelis Herz setzte kurz aus, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Auf diesen Moment hatte sie so lange gewartet. Am Ende hatte sie kaum noch zu hoffen gewagt, dass sie Erin finden würde. Und jetzt hatte sie es geschafft. Aber was war bloß mit ihm los?
Mit wenigen Schritten war Mageli bei ihm, wollte ihn am liebsten in die Arme nehmen, kam sich dann aber komisch dabei vor. Warum hatte er nicht aufgeblickt, als sie laut seinen Namen gerufen hatte? Sanft fasste sie Erin an der Schulter und rüttelte ihn. Keine Reaktion.
»Erin?«, fragte Mageli leise, fast zärtlich. »Kannst du mich verstehen?«
Sie ging neben ihm in die Hocke und betrachtete die zusammengekauerte Gestalt. Warum reagierte Erin nicht auf sie? Dass er bewegungslos auf seinem Bett gelegen hatte, unfähig, sich zu rühren, hatte sie zwar furchtbar erschreckt, aber sie hatte es verstanden, nachdem Alawin ihr erklärt hatte, was ein Traumverlies war. Aber dass Erin auch hier im Traum so apathisch wirkte, damit hatte sie nicht gerechnet. Was hatte der Schattenfürst ihm bloß angetan?
Noch einmal legte Mageli ihre Hand auf Erins Schulter. Seine fransigen, dunklen Haare kitzelten ihren Handrücken und sie hätte liebend gern hineingefasst. Aber auch das wagte sie nicht. Erin wirkte so unnahbar. So unendlich weit von ihr entfernt.
»Erin«, flüsterte Mageli zaghaft und spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie den Tränen nahe war. Mist! Nicht heulen, helfen!, ermahnte sie sich. Nur wie?
Mageli versuchte, sich an Alawins Ratschlag zu erinnern. Sie musste Erin dazu bewegen, ihr aus dem Traumverlies zu folgen. Leichter gesagt, als getan. Denn mal ganz davon abgesehen, dass Erin nicht sehr gewillt zu sein schien, sich von ihr irgendwohin führen zu lassen, hatte Mageli auch keine Ahnung, wie sie aus diesem Traumlabyrinth herausfinden sollte. Egal. Eins nach dem anderen! Erst mal musste sie Erin davon überzeugen, überhaupt mit ihr zu kommen.
Magelis Hand lag noch immer auf Erins Schulter. Jetzt ließ sie diese ganz langsam seinen Arm entlanggleiten, bis sie Erins Hand erreichte, die regungslos auf seinem Knie lag. Vorsichtig versuchte sie, die Hand unter Erins Kopf herauszuziehen.
»Na komm schon.« Mageli redete wie mit einem Kind. »Du solltest jetzt besser nach Hause gehen. Und ich werde dich begleiten«, wiederholte sie unbewusst die Worte, die Erin auf der Lichtung im Wald zu ihr gesagt hatte. Wie lange war das jetzt her? Hundert Jahre, so kam es ihr vor.
War es Absicht oder Zufall? Plötzlich lockerte sich Erins starre Haltung ein wenig, und endlich bekam Mageli seine Hand richtig zu fassen, zog sie hervor und hielt sie mit ihren beiden Händen fest.
»Schon besser«, murmelte sie und begann, mit ihrem Zeigefinger die dünnen Linien in Erins rauer Handfläche entlangzufahren, so wie sie es bereits an seinem Bett gemacht hatte. Dabei sprach sie leise immer wieder seinen Namen vor sich hin in der Hoffnung, dass Erin sie hören konnte, auch wenn es nicht den Anschein hatte.
Magelis Zweifel, dass es ihr jemals gelingen würde, zu Erin durchzudringen und ihn dazu zu bewegen, mit ihr aus dem Traumverlies zu fliehen, drohten allmählich überhandzunehmen. Fest umschloss sie Erins Hand und führte sie vorsichtig an ihre Lippen.
»Nun komm schon«, flüsterte sie und drückte einen sanften Kuss auf jede seiner Fingerspitzen.
So hatte Jost sie früher getröstet, wenn sie als Kind schlecht geträumt hatte: einen Kuss auf jeden Finger und ein Lied dazu, das er sich eigens für sie ausgedacht hatte. Wie ging das noch? Mageli schloss die Augen und begann leise zu summen. Sofort wurde sie von der beruhigenden Melodie erfasst und eine angenehme Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. Mageli
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