Elfenblick
nichts.
»Herrn Doktor Janssen oder Frau Doktor Ehmich-Mohl.«
Svenjas Gesichtsausdruck blieb unverändert, sodass Mageli nach einem kurzen Augenblick das Gefühl hatte, etwas hinzufügen zu müssen.
»Ich hätte vorher anrufen sollen, aber ich war sowieso in der Stadt und dachte, ich könnte vielleicht einfach vorbeikommen und mit ein bisschen Glück …«
Svenjas Gesichtsausdruck wechselte von fragend zu erstaunt. »Tut mir leid, aber die gibt es hier nicht.«
»Nicht?«, sagte Mageli enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass wenigstens einer der Ärzte noch im Haus arbeiten würde. Fehlanzeige!
»Wen suchst du?« Die andere Schwester kam ebenfalls zur Tür. Sigrid stand auf ihrem Namensschild. Mageli wiederholte die Namen.
»Wieso suchst du denn ausgerechnet die?« Sigrids Stimme klang nicht nur überrascht, sondern auch ziemlich neugierig. Mageli entschied spontan, dass sie mit der Wahrheit hier weiter kam als mit einer erfundenen Geschichte. Zumindest mit einem Teil der Wahrheit.
»Ich versuche etwas über meine Geburt herauszufinden.«
»Deine Geburt, soso. Komm doch mal kurz rein. Setz dich. Magst du einen Kaffee?«
Mageli konnte Kaffee nicht ausstehen. Andererseits wollte sie nicht riskieren, Sigrid vor den Kopf zu stoßen, und für die Krankenschwester schien ein Kaffee die Basis für jedes Gespräch zu sein.
»Danke, gern.«
»Zucker, Milch? Wir haben allerdings nur Kaffeeweißer.«
»Zucker, danke.« Man konnte auch einen abgestandenen Filterkaffee noch mehr verhunzen, indem man Kaffeeweißer dazugab. Mageli rührte vier gehäufte Teelöffel Zucker in den großen gelben Becher, den Sigrid ihr reichte.
»Bist wohl ’ne ganz Süße, was?«
»Hm.«
»Setz dich doch.«
Mageli rückte sich mit dem Fuß einen der Holzstühle an dem runden Tisch zurecht und setzte sich auf das gelbe Sitzkissen. War hier eigentlich alles gelb? Svenja blätterte in einer Frauenzeitschrift, blickte aber über den Rand immer wieder zu Mageli. Sigrid pustete in ihren Kaffee.
»Du bist also hier zur Welt gekommen, ja? Wann war das denn?«, fragte Sigrid schließlich.
»Vor sechzehn Jahren. Einundzwanzigster Juni.«
»Oh, dann hattest du ja vor zwei Wochen Geburtstag. Nachträglich herzlichen Glückwunsch«, mischte Svenja sich ein.
»Danke.«
»Und Doktor Janssen und Frau Doktor Ehmich-Mohl waren bei deiner Geburt dabei, sagst du.« Sigrid ließ sich nicht ablenken.
»Hm.«
»Tja, das ist ja komisch.« Sigrid wartete eindeutig auf eine Nachfrage, also tat Mageli ihr den Gefallen.
»Wieso?«
»Weil beide nicht mehr am Leben sind.«
»Was?«
»Verkehrsunfall, glaub ich. War vor meiner Zeit.« Eine Tatsache, die Sigrid offenkundig schade fand. »Aber man hat natürlich drüber geredet, auch später noch, als ich hier angefangen hab. Das war übrigens ein Jahr danach, vor genau fünfzehn Jahren. So lange arbeite ich schon hier. Meine Güte, wie die Zeit vergeht.«
Mageli war gleichgültig, wie lange Sigrid hier schon ihren Kaffee schlürfte. Etwas anderes ließ sie allerdings aufhorchen.
»Was meinen Sie mit ein Jahr danach? Wonach?«
»Na, nach dem Unfall. Das war ’ne ziemlich heiße Story damals. Weil die beiden doch verheiratet waren, also natürlich nicht miteinander. Und dann waren die im selben Auto unterwegs, angeblich zu irgendeinem Kongress, aber da war wohl gar kein Kongress an dem Wochenende. Jedenfalls, die beiden sind unterwegs irgendwo in Österreich. Und dann, in den Bergen, versagen die Bremsen. Da fliegt der Wagen vom Doktor Janssen, der ist wohl immer gern ein bisschen überm Limit gefahren, der Doktor, fliegt voll aus einer dieser Haarnadelkurven und überschlägt sich, immer weiter den Berg runter. Haben wohl ziemlich übel ausgesehen, die zwei, als man sie schließlich aus dem völlig zerdrückten Auto geschnitten hat. War nix mehr zu machen, gar nix mehr.« Sigrid verschränkte die Arme unter ihrer üppigen Brust.
Mageli war der Mund offen stehen geblieben. Das musste kurz nach ihrer Geburt passiert sein. So ein Mist!
»Ziemlich krass!«, brachte sie heraus. Sigrid deutete Magelis Reaktion fälschlicherweise als Begeisterung für ihre Klatschgeschichte.
»Kann man wohl sagen. Aber so ist das, wenn man nicht weiß, in welchem Bett man zu schlafen hat. Ich bin meinem Erwin jetzt seit zwanzig Jahren treu. Kann mir nicht passieren so was.«
Mageli verzichtete darauf, nach dem logischen Zusammenhang zwischen ehelicher Untreue und tödlichen Unfällen zu fragen. »Ich habe noch einen
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