Elfenblick
Namen«, sagte sie stattdessen schnell. Der Zettel war ihr wieder eingefallen und sie kramte ihn mit neuer Hoffnung aus ihrer Hosentasche. »Hier, Monika Theissen, ist die denn noch hier?«
Ihr entging nicht, dass sich Sigrid und Svenja einen Blick zuwarfen.
»Die Monika, also, aha.« Dafür dass sie eben noch so redselig gewesen war, wirkte Sigrid jetzt ziemlich abweisend. »Nee, die ist auch nicht mehr da.«
Mageli sackte in ihrem Stuhl zusammen. Na klar! Ihr Glück hatte nur für Friedhelm Wächter ausgereicht und sie danach verlassen.
»Die Monika hat sich letztes Jahr selbstständig gemacht mit einer eigenen Hebammenpraxis. Hat ihr die Chefin wohl zu geraten. Stimmte aber auch irgendwie nicht mit der Chemie zwischen den beiden.« Sigrid klang so essigsauer, als hätte es auch bei ihr und dieser Monika irgendwie nicht mit der Chemie gestimmt.
Mageli rutschte auf ihrem Stuhl wieder nach vorn.
»Und wo finde ich diese Praxis?«
»Friedrichstraße, glaube ich«, mischte sich Svenja ein. »Ursula hat’s mir erzählt«, fügte sie entschuldigend an Sigrid gewandt hinzu.
»Vielen Dank, das war echt interessant.« Mageli sprang von ihrem Stuhl auf und beeilte sich, zur Tür zu kommen. Den gelben Becher ließ sie auf dem Tisch stehen. Von dem Kaffee hatte sie keinen Schluck getrunken.
Die Friedrichstraße war eine der schönsten Straßen im schönsten Viertel von Neuenburg. Hier standen ausschließlich Altbauvillen, umgeben von großen Gärten mit alten Bäumen und schmiedeeisernen Zäunen. Mageli schlenderte die Straße entlang und suchte die Zäune nach einem Hinweisschild auf die Hebammenpraxis ab.
Die Seite mit den geraden Hausnummern hatte sie bereits abgeklappert, auf der anderen Straßenseite entdeckte sie dann nach kurzer Zeit, wonach sie suchte: Monika Theissen, Hebammen praxis, Termine nach Vereinbarung, stand auf einem unscheinbaren weißen Schild, das an dem geschwungenen Eingangstor befestigt war. Mageli holte ihr Handy raus, um nach der Uhrzeit zu schauen: halb fünf. Die Klinke fühlte sich kühl an, als sie dagegendrückte, lautlos schwang das Tor auf.
Über einen Kiesweg gelangte man zum Haus, der Belag knirschte unter Magelis Füßen. Staunend betrachtete sie die Villa: Der Prunkbau hatte drei Stockwerke, mehrere Erker und war von außen mit wunderschönen Stuckfiguren geschmückt. Wie konnte sich eine Hebamme eine Praxis in einem solchen Haus leisten? Aber vielleicht hatte Monika Theissen ja einen reichen Mann geheiratet oder geerbt oder im Lotto gewonnen …
Auf der Treppe zu der schweren hölzernen Eingangstür nahm Mageli immer zwei Stufen auf einmal. Es gab keine Klingeln, nur einen Türklopfer mit Löwenkopf. Mageli zögerte, dann hob sie den Klopfer an und ließ ihn wieder fallen. Das Geräusch hallte im Hausflur nach. Sie wartete, lauschte. Nichts. Sie ließ den Klopfer erneut fallen, hörte wieder auf den Hall aus dem alten Haus. Nichts.
Ihr Glück hatte wohl endgültig Feierabend gemacht. Mageli wollte schon umdrehen, als sie zaghafte Schritte im Haus hörte. Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt.
»Wer ist da?« Durch den schmalen Spalt konnte Mageli nicht erkennen, wer auf der anderen Seite der Tür stand. Die Stimme schien zu einer älteren Frau zu gehören und sie klang definitiv nicht einladend.
»Mein Name ist Margarethe-Elisabeth Meyer. Ich möchte zu Frau Theissen.« Mageli stellte sich für gewöhnlich nicht mit ihrem vollen Namen vor. Aber irgendetwas an diesem Haus und dieser Frau hinter der Tür erfüllte sie mit dem Wunsch, möglichst erwachsen und professionell zu wirken. Die Reaktion war allerdings anders als erhofft: Ohne ein weiteres Wort schlug die Frau Mageli die Tür vor der Nase zu.
Mageli war für einen Moment so baff, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte. Ob sie noch einmal klopfen sollte? Aber die Mühe konnte sie sich vermutlich sparen, die Frau würde es sich bestimmt nicht anders überlegen. Über den Kiesweg ging Mageli zurück zu dem eisernen Tor und trat hinaus auf den Gehsteig. Als sie sich noch einmal umschaute, wurde einer der Vorhänge im Erdgeschoss eilig zugezogen.
Mageli erwischte den Bus um kurz nach fünf und war gegen zwanzig vor sechs zurück an der Schule. Der Schulhof war um diese Zeit Ödland. Magelis Fahrrad lehnte einsam zwischen den Ständern. Sie schloss die Kette auf und schwang sich in den Sattel.
Für den Heimweg ließ Mageli sich Zeit. Der Tag hatte ihr eine Menge geliefert, worüber sie nachdenken wollte.
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