Elfenblick
schaute sie sich gespannt um. Nichts! Mageli seufzte. Was hatte sie denn erwartet? Am liebsten hätte sie ihre Sachen zusammengepackt und wäre wieder nach Hause gefahren, so sinnlos erschien ihr das ganze Unternehmen in diesem Moment. Aber dann dachte sie an Erin. Und versuchte es noch einmal.
Und dieses Mal klappte es. Als sie etwa die Hälfte des klassischen Stückes gespielt hatte, erklangen plötzlich wieder die unbekannten Töne tief aus Magelis Innerstem. Sie überließ sich ganz der wunderbaren Melodie und gab sie an ihr Instrument weiter. Die fremden und doch so vertrauten Klänge suchten sich wie von selbst ihren Weg und breiteten sich auf der Lichtung aus, als wäre darüber eine unsichtbare Kuppel gespannt, unter der sie sich fangen und von allen Seiten widerhallen konnten. Mageli hatte die Augen geschlossen. Die Töne umtanzten sie und hüllten sie ein, umringten sie immer dichter und drehten sie mit sich wie ein Karussell in endloser Fahrt.
Vorsichtig öffnete Mageli die Augen. Sofort wurde ihr schwindelig, und es dauerte einige Sekunden, bis das Karussell in ihrem Kopf stillstand. Erneut blickte sie sich aufmerksam um, überzeugt davon, dass sich nichts verändert hatte, und zugleich voller Hoffnung. Bäume, Büsche und der Bach – alles sah genauso aus wie zuvor. Doch als Mageli sich der Höhle zuwandte, hätte sie vor Überraschung beinahe laut geschrien. Die Steine hatten sich verschoben und bildeten in der Mitte einen Durchgang, ein dunkles Loch, gerade breit genug, dass ein Mensch hindurchpasste.
Ganz langsam ging Mageli auf dieses Loch zu. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi und ihr Magen zog sich in krampfhaften Bewegungen zusammen. Es war wesentlich leichter, sich etwas zu wünschen, als es dann tatsächlich zu erleben, musste Mageli sich eingestehen. Zugleich spürte sie, dass hinter diesem geheimnisvollen Eingang etwas lag und dass dieses Etwas sie magisch anzog.
Als sie die Höhle erreichte, war Mageli sich sicher, den Eingang zum Elfenreich gefunden zu haben. Das Ganze war verrückt, ja! Aber auch nicht verrückter als alles andere, was sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte. Deshalb zögerte sie nur ganz kurz, bevor sie über die Steine kletterte. Sie blickte sich noch einmal um und versuchte, das Bild von der Lichtung, die so friedlich im Mondschein lag, in ihrem Gehirn abzuspeichern. Dann stieg sie durch das Loch.
Kaum war Mageli durch die Öffnung geklettert und auf der anderen Seite auf den Boden gesprungen, stapelten sich die Steine in atemberaubender Geschwindigkeit wieder auf. Nur wenige Sekunden später ragte hinter ihr wieder eine massive Steinmauer auf.
Gefangen! , war der erste Gedanke, der Mageli durch den Kopf schoss. Doch dann ermahnte sie sich: Du hast es so gewollt!
Resolut drehte sie dem versperrten Durchgang den Rücken zu und blickte in einen breiten Tunnel, der sich jedoch schnell verengte und schließlich in eine Kurve führte, sodass Mageli nicht sehen konnte, wie es weiterging.
»Ich habe es so gewollt!«, wiederholte sie noch einmal laut und erschrak vor dem hohlen Klang ihrer Stimme, die von den Steinwänden zurückgeworfen wurde: »Gewollt … gewollt … gewollt …« Sie zog die Riemen ihres Rucksacks fest und machte sich auf den Weg.
Stundenlang folgte Mageli dem Gang. Zumindest fühlte es sich an, als wäre sie schon viele Stunden gelaufen. In dem unterirdischen Tunnel hatte sie bereits nach kurzer Zeit ihr Zeitgefühl verloren. Der Gang war schmal und gerade so hoch, dass Mageli aufrecht darin stehen konnte. Ab und zu hingen Wurzeln von der Decke, sodass sie sich bücken musste, oder einige Steine lagen ihr im Weg, und sie musste ihre Füße heben, um nicht darüberzustolpern. Ansonsten sah alles gleich aus.
Nur das Material, aus dem Boden, Wände und Decke des Ganges bestanden, versetzte Mageli noch immer in Staunen. Auf den ersten Blick wirkte es wie ganz gewöhnliche Erde: braun, matschig, mit kleinen Steinchen dazwischen. Dass es sich nicht um normale Erde handelte, war Mageli erst aufgefallen, als sie sich gefragt hatte, warum sie eigentlich etwas sehen konnte. Bei genauerer Betrachtung hatte sie festgestellt, dass die winzigen Steinchen leuchteten. Nicht strahlend hell, eher verströmten sie ein gedämpftes Schimmern, das den Gang in fahle Helligkeit tauchte.
Mit gespreizten Fingern fuhr Mageli über die Wand. Die Erde fühlte sich feucht an und die feinen Steinchen rieben unter ihren Fingerkuppen wie Sandkörner. Einige
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