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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Lankers
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würde sie in der Luft schweben. Doch kein Luftzug bewegte die federleichte Plastikumhüllung, sie lag reglos mitten im Nichts.
    Unmöglich!
    Aber was war hier unten schon unmöglich? Mit einem zögernden Schritt näherte Mageli sich dem Spalt und legte sich dann flach auf den Bauch, damit die Erde nicht unter ihr abbröckeln und sie in die Tiefe reißen würde. Mit ausgestrecktem Arm tastete sie nach der Kante des Spalts. Doch da war keine Kante. Ihre Hand lag flach auf festem Boden. Mageli robbte weiter und schob ihren Arm vor. Sie fühlte feuchte, kalte Erde unter ihrer Hand. Aber keinen Abgrund. Obwohl sie ihn genau sah.
    Mageli zog ihren Rucksack heran und kramte darin, bis sie den Lippenstift fand. Da sie ihn noch nie benutzt hatte, würde sie ihn auch nicht vermissen, wenn er jetzt in einem unterirdischen Spalt verschwand. Sie zielte auf die Stelle, an der die Verpackung des Schokoriegels schwebte ‒ und direkt daneben landete der Lippenstift! Verwirrt schüttelte Mageli den Kopf. Das Ganze ließ nur einen Schluss zu: Der breite Abgrund war pure Illusion.
    »Welcher Idiot hat sich das denn ausgedacht?«, fluchte Mageli leise. Offensichtlich versuchte jemand, mit diesem Trick ungebetene Besucher zum Umkehren zu bewegen. Noch immer etwas unsicher, setzte Mageli einen Fuß in den klaffenden Spalt. Der Fuß landete auf festem Boden. Entschlossener machte sie weitere Schritte. Als sie sich bückte, um die Verpackung und den Lippenstift aufzuheben, riskierte sie einen Blick nach unten. Ihr Herz schlug schneller, während sie in die bodenlose Schwärze unter ihren Füßen schaute, obwohl sie ja nun wusste, dass der Abgrund in Wirklichkeit gar nicht existierte. Staunend schaute sie zurück, als sie die andere Seite erreicht hatte, und betrachtete auch die hohen Wände und die glitzernde Decke noch einmal genauer. Diese Höhle war wirklich ein beeindruckender Ort! Dennoch war Mageli froh, als sie schließlich einen schmalen, schummrigen Gang fand, durch den sie ihren Weg fortsetzen konnte.
    Ihre neu gewonnene Zuversicht verließ Mageli bereits nach wenigen Metern wieder. Dieser Tunnel unterschied sich deutlich von dem ersten. Die Wände standen viel enger beieinander, und die Decke war so niedrig, dass sie den Kopf einziehen musste, um nicht daran anzustoßen. Bald tat ihr der Nacken von der gekrümmten Haltung weh. Stieß sie mit dem Kopf an die Decke oder mit ihren nackten Armen an die Seitenwände, so wurde dies sofort mit einem blutigen Kratzer oder einer brennenden Hautabschürfung bestraft. Denn der Tunnel führte durch einen Fels und war so grob hineingehauen, dass überall scharfe Kanten und Ecken aus dem Stein herausragten. Weil sie ständig aufpassen musste, kam Mageli nur langsam voran, was sie zusätzlich frustrierte.
    Auch dieser Tunnel war schwach erleuchtet. Das Gestein enthielt die gleichen schimmernden Körnchen, die Mageli bereits aus dem ersten Gang kannte. Doch zwischen den spitzen und zackigen Vorsprüngen des Felsens sammelten sich Schatten. Flackernd boten sie ein gruseliges Schauspiel, und Mageli fühlte sich unwohl, weil sie nicht erkennen konnte, was in dem Tunnel auf sie zukam.
    Immerhin war sie sich nun sicher, den richtigen Weg gefunden zu haben. Wer eine so ausgefeilte Illusion wie den falschen Abgrund erdachte, wollte damit etwas schützen. Und was sollte das anderes sein als das Elfenreich! Davon war Mageli fest überzeugt, und schon nach kurzer Zeit erhielt sie einen weiteren Beweis für ihre Vermutung.
    Als der Tunnel sich weitete, war Mageli zunächst nur froh, endlich wieder aufrecht gehen zu können, und als sie schließlich die zweite Höhle erreichte, vergaß sie sofort alle Anstrengungen, über die sie sich gerade noch aufgeregt hatte. Der Anblick war überwältigend!
    Überall in der riesigen Höhle wuchsen Tropfsteine aus dem Boden und hingen von der Decke herab. Steinerne Riesen so dick wie Bäume wechselten sich mit kleineren Tropfen ab, die aussahen wie versteinerte Eiszapfen. Auf den Felsvorsprüngen standen ebenfalls Steinformationen, die wie reich verzierte Kerzen wirkten, an denen das Wachs heruntergelaufen und erstarrt war. Die ganze Decke schien mit flachen Flechten aus Stein zugewuchert zu sein. Herabhängende Stalaktiten bildeten Bögen mit zackigen Zähnen oder ähnelten eingefrorenen Wasserfällen. Einzelne Säulen, die Seite an Seite aufragten, wirkten wie die Wächter unsichtbarer Tore. Die größten unter ihnen waren von oben und unten aufeinander zu gewachsen

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