Elfenblick
Körnchen blieben hängen, sodass nun auch Magelis Hand ein sanftes Licht ausstrahlte. Schnell wischte sie die Handfläche an ihrer Hose ab. Der Dreck blieb am Stoff haften, die leuchtenden Steinchen nicht. Mageli lächelte matt. Mit dem Rücken lehnte sie sich an die Wand und ließ sich auf den Boden gleiten. Feuchtigkeit drang augenblicklich durch ihre Jeans. Egal. Hauptsache sitzen.
Mageli war müde. Nicht nur von dem langen Marsch durch den Tunnel. Auch die drei Nächte ohne Schlaf waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie wollte die Augen schließen. Nur ganz kurz. Sie musste ja weiter. Musste zu Erin …
In Magelis Rücken vibrierte etwas. Sie schreckte auf und wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Ihr Kopf pochte, ihr Nacken schmerzte. Verwirrt schaute sie sich um. Der Tunnel, richtig! Sie musste eingeschlafen sein.
Wieder dieses Vibrieren. Es kam aus dem Rucksack, den sie immer noch auf dem Rücken trug. Mageli zog ihn über die Schultern und kramte darin. Im Hauptfach fand sie nichts, deshalb schaute sie im vorderen Fach nach, dass sie zu Hause vergessen hatte auszuleeren: Kaugummis, ein Lippenstift – wie kam der denn da rein? –, Streichhölzer und einige Taschentücher. Zuletzt zog sie ihr Handy hervor.
Eine neue Nachricht. Eine SMS – deshalb hatte es also vibriert. Mageli starrte das kleine Mobiltelefon an wie einen Gegenstand aus einer anderen Welt. Wie konnte sie hier tief unter der Erde eine SMS empfangen?
Mageli löste die Tastensperre und klickte auf ihr Postfach. Rosann Handy stand oben in der Empfängerliste. Sie öffnete die Nachricht.
Wo steckst du? Warum hast du dich nicht gemeldet? Alles o . k.? hdl, Rosann
Mageli schaute auf die Zeitanzeige. Es war kurz nach halb neun Uhr morgens. Rosann saß also vermutlich gerade in der ersten Schulstunde und vermisste sie. Die Verabredung zum Eis hatte Mageli in der Aufregung gestern auch verschwitzt. Immerhin wusste sie jetzt, wie spät es war. Sie war also tatsächlich schon eine ganze Nacht lang in diesem unterirdischen Gang unterwegs gewesen.
Aber was sollte sie Rosann antworten? Bin auf dem Weg ins Elfenreich! Haha, wohl kaum. Obwohl Rosann sich zuletzt ja verständnisvoll gezeigt hatte. Zumindest hatte sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass etwas an Magelis Geschichten wahr sein könnte. Rein hypothetisch natürlich. Mageli beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben. So nah wie möglichst zumindest: Bin ein paar Tage weg. Erin helfen. Miss U!
Mageli drückte auf Senden und staunte, als das kleine Briefchensymbol aufblinkte, um zu signalisieren, dass die Nachricht abgeschickt worden war. Noch bis vor wenigen Stunden wäre es für sie die selbstverständlichste Sache der Welt gewesen, mit Rosann zu simsen. Aber jetzt hatte sie das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu tun. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie weit sie sich bereits von ihrem bisherigen Leben entfernt hatte. Direkt über ihrem Kopf ging der Alltag weiter. Doch Mageli war kein Teil mehr davon. Und von dem, was sie hier unten erwartete, hatte sie keine Vorstellung.
Schnell packte Mageli ihr Handy ein und rappelte sich auf, bevor sie noch weitere so beängstigende Gedanken bedrängten. Sie hatte sich nun einmal für diesen Weg entschieden, dann konnte sie ihn auch direkt weitergehen, ohne noch länger zögerlich auf dem nassen Boden zu hocken.
Monoton setzte Mageli Fuß vor Fuß, stundenlang, wie es ihr schien. Als ihr Magen heftig zu grummeln anfing, wurde ihr zu ihrer eigenen Überraschung bewusst, dass sie seit über einem Tag nichts mehr zu sich genommen hatte. Mageli konnte sich nicht entsinnen, dass sie jemals länger als zwei Stunden ohne etwas zu essen ausgekommen war … Gut, dass sie daran gedacht hatte, die Schokoriegel einzustecken. Im Gehen kramte sie einen davon aus ihrem Rucksack, wickelte ihn aus der Plastikhülle und biss ein großes Stück ab. Sie kaute, und matschige, süße Schokolade füllte ihren ganzen Mund aus. Herrlich! Schnell verputzte sie einen weiteren Riegel und stopfte die Verpackungen zurück in den Rucksack.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy: keine neue Nachricht. Immerhin verriet das Display ihr die Uhrzeit. Seit ihrer Pause waren bereits zwei Stunden vergangen. Langsam begann Mageli sich zu fragen, ob dieser Gang überhaupt irgendwo hinführte. Was, wenn es einfach ein alter Stollen war, ein Überbleibsel aus einer weit zurückliegenden Bergbauvergangenheit? Oder wenn der Tunnel nirgendwo hinführte und sie irgendwann vor
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