Elfenblick
Die Augen geschlossen, der Atem flach. Ihre Arme und Beine zitterten, ihr Kopf pochte und ihr Rücken kribbelte. Sie lag da und wartete darauf, dass etwas anderes, Schreckliches passieren würde. Aber es passierte nichts mehr. Vorsichtig öffnete sie ein Auge. Das Einzige, was sie sah, war ihre eigene Hand vor ihrem Gesicht. Schlafen , dachte Mageli, einfach nur schlafen! Doch Schlafen war jetzt sicher gar keine gute Idee. Mageli zwang sich, die Augen nicht wieder zu schließen. Mühsam stützte sie sich auf. Nur wenige Meter entfernt erblickte sie eine scharfe Felskante. Was dahinterlag, konnte sie jedoch nicht erkennen. Vorsichtig robbte sie sich vor.
Wow! Mageli war schlagartig wieder munter. Direkt vor ihr brach der Felsvorsprung, auf dem sie sich befand, nach unten ab und fiel ins Bodenlose. Mageli befand sich in einer Höhle von enormen Ausmaßen. Sie selbst lag auf einem schmalen Vorsprung, der sich wie eine kilometerlange Galerie ohne Befestigung um die Höhle erstreckte. Darunter fiel die Felswand steil ab. Die Wände waren von Tunneleingängen und kleineren Höhlen durchlöchert wie ein Käse. Auf der einen Seite stürzte ein klarer Wasserfall senkrecht am blanken Fels hinab und schien am Boden in einen schmalen Fluss zu münden. Das Faszinierendste an dieser Höhle waren die Äste, die in einem schier undurchdringlichen Gewirr von der Decke hingen. Äste ? , dachte Mageli. Wohl kaum! Hier unter der Erde musste es sich um Wurzeln handeln! Ein Wald aus Wurzeln, die von der hohen Decke bis tief zum Boden herabhingen, der so weit entfernt war, dass Mageli ganz flau im Magen wurde, wenn sie nach unten schaute.
Gerade begann Mageli sich zu fragen, wie sie dort hinuntergelangen sollte, als ihr jemand etwas Spitzes in den Rücken rammte.
»Was haben wir denn da?«, hörte sie eine kehlige Stimme.
»Sieht nach einem Eindringling aus«, antwortete eine zweite Stimme. Mageli fand, dass der Sprecher erfreut klang, aber auf eine Weise erfreut, die ihr gar nicht gefiel. Sie spannte ihre Muskeln an, um sich umzudrehen, und sofort bohrte sich die Spitze stärker in ihren Rücken.
»Na«, vernahm sie die erste Stimme wieder. »Du willst uns doch keinen Ärger machen, oder?«
»Oder?«, fragte die zweite Stimme erwartungsvoll. »Vielleicht ein kleines bisschen Ärger?«
Mageli hatte das Gefühl, dass es zumindest Stimme Nummer zwei gefallen würde, wenn sie versuchte, Ärger zu machen. Allerdings rechnete sie sich gegen zwei bewaffnete Männer keine allzu großen Chancen aus. Sie befand sich ganz sicher nicht in der besten Ausgangslage, um Ärger zu machen.
»Ich mache euch keinen Ärger«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Schade eigentlich«, bestätigte Stimme zwei Magelis Befürchtungen. »Aber ist ja im Grunde auch egal, Befehl ist Befehl.«
Und bevor Mageli noch über den Sinn dieser Bemerkung nachgrübeln konnte, drehte einer der Männer ihre Arme grob auf ihren Rücken und hielt sie an den Handgelenken zusammen. Der andere griff in ihre Haare und zerrte ihren Kopf zu sich herum. Er ging vor ihr in die Hocke und betrachtete sie aufmerksam.
Noch nie hatte Mageli ein so hässliches Gesicht gesehen! Seine Haut war runzelig, sein Mund nicht mehr als ein schmaler Strich, seine Nase dafür ein Felsbrocken zwischen den eng stehenden Augen, die eine ungesunde gelbliche Färbung aufwiesen, und seine zotteligen Haare waren aschgrau. Nichts in diesem Gesicht schien zueinanderzupassen. Mageli erinnerte sich, was Erin ihr über Dunkelelfen erzählt hatte, und vermutete, dass sie einen vor sich hatte.
»Soso, eine Lichte. Dachte ich’s mir. So schöne große Augen, die so schön ängstlich gucken können.« Er lachte heiser. »Wollen mal schauen, wie ängstlich die erst gucken, wenn wir die kleine Lichte ins dunkle Verlies stecken.«
Angst und Wut stiegen in Mageli auf. Mit einem Ruck versuchte sie, sich aus der Hand des Fremden zu befreien. Vergeblich! Der Griff um ihre Haare wurde nur fester, das Ziehen daran schmerzhafter, und der Dunkelelf grinste bösartig, wobei er eine Reihe schwarz verfärbter Zähne entblößte.
»Du willst also doch Ärger machen. Wie überaus erfreulich. Dann müssen wir dir wohl dein hübsches Köpfchen ein bisschen waschen.« Mit einem widerlichen Geräusch zog er den Schleim aus seiner Lunge hoch und spie ihn Mageli ins Gesicht. Ihr drehte sich der Magen um und bittere Galle stieg ihr in den Mund. Am liebsten hätte sie zurückgespuckt, aber dieses Mal siegte die
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