Elfenblick
Tropfsteinformationen ein. Die Zerstörung drohte sie einzukesseln. Sie musste vorwärts! Raus aus dieser Höhle!
Ein Spalt im Fels. Mageli sprang. Landete ungeschickt. Ihr Fuß knickte weg. Der Schmerz entrang ihr einen Schrei. Egal. Weiter. Schneller.
Steinbrocken trafen ihre Schultern. Ihren Rücken. Sie wich zur Seite aus. Eine Säule. Mehr Steine. Fallen. Brechen. Staub. Viel Staub. Keine Sicht. Keine Luft.
Die Hand vor Mund und Nase gepresst, taumelte sie weiter und hustete erstickt. Da, endlich! Eine solide Wand. Ein dunkler Fleck: der Eingang zu einem Tunnel. Mageli hetzte darauf zu, kletterte über einen Geröllberg, kratzte sich die Arme und Hände dabei auf, ignorierte den Schmerz in ihrem Knöchel – und erreichte keuchend den schmalen Gang. Im letzten Moment schlüpfte sie hinein, bevor die Höhle endgültig zusammenbrach.
Durch die schmale Öffnung im Fels sah Mageli, wie Steinbrocken flogen, von der Decke hagelten, vom Boden aufspritzten und schließlich in riesigen Haufen liegen blieben. Dann sah Mageli nichts mehr, denn der glitzernde Staub verhüllte die Zerstörung.
Es dauerte eine Weile, bis Mageli wieder atmen konnte, ohne dass jeder Zug in ihrer Lunge brannte wie Feuer. Sie setzte sich hin, um ihren pochenden Knöchel zu untersuchen. Doch das war nicht möglich, denn in dem Tunnel war es viel zu dunkel. Komisch. Gab es hier denn keine Funkelsteinchen an den Wänden?
Verwundert betrachtete Mageli die eng stehenden Felswände: Sie waren über und über mit Flechten bewachsen. Mit schleimigen Flechten, wie Mageli feststellte, als sie probehalber die Hand danach ausstreckte. Und zu allem Überfluss galt das auch für den Boden. Na toll!
Ihre blutigen Kratzer und brennenden Schürfwunden waren erst einmal vergessen. Sie hatte jetzt ein anderes Problem: Wie sollte sie in diesem dunklen, rutschigen Gang vorwärtskommen, ohne sich beide Beine zu brechen?
Ein brennender Schmerz jagte aus ihrem Knöchel in ihr Bein, als sie versuchte aufzustehen. Wirklich ganz toll!
Unschlüssig stand Mageli da, ihr Gewicht wohlweislich auf den heilen Fuß verlagert. Was sollte sie jetzt bloß tun? Mit dem kaputten Knöchel erschien es aussichtslos, ihren Weg durch den glitschigen Tunnel fortzusetzen. Ein paar Tränen der Verzweiflung kullerten jetzt über ihre Wangen. Unwirsch wischte sie sie mit ihrer schmutzigen Hand ab.
Eine plötzliche Erinnerung an Erin flackerte auf: Besorgt hatte er sich über ihren verletzten Arm gebeugt, damals auf der Lichtung. Es kam Mageli vor, als wäre das eine Ewigkeit her, dabei waren seither erst wenige Tage vergangen. Mageli lächelte wehmütig.
Wenn er bloß hier wäre …
Aber das konnte sie vergessen. Erin war ja in Gefahr. Und sie war hier, weil sie ihm helfen wollte. Und deshalb musste sie weiter! Weil sie Erin helfen musste!
Mühsam humpelte sie vorwärts. Den Rücken hielt sie gebeugt, denn der Gang war zu niedrig, um darin aufrecht zu gehen, und mit den Händen stützte sie sich an den rutschigen Wänden ab so gut es ging. Während sie sich Schritt für Schritt vorwärtsquälte, schickte Mageli alle ihre Gedanken zu Erin. Sie dachte an jede Einzelheit ihrer ersten Begegnung und versuchte, sich an jeden Satz zu erinnern, der zwischen ihnen gesprochen worden war. Und auch an die Dinge, die nicht ausgesprochen worden waren. An ihre Hand in Erins Hand. An seinen Mund auf ihrem Mund. Seine sanften Lippen, seine widerspenstigen Haare, sein wunderschönes Grübchen …
Über ihren Tagträumen bemerkte Mageli gar nicht, dass es wieder heller wurde und der Gang in eine kleine Höhle mündete. Eine Höhle, in der sie aufrecht stehen konnte. Mit einem erleichterten Seufzen streckte Mageli ihren Rücken durch. Puh, das tat gut!
Sie nahm den Rucksack ab und ließ ihn auf den Boden fallen, reckte die Arme nach oben und berührte mit den Fingerspitzen die Decke, dann dehnte sie sich mehrmals zu beiden Seiten, bis ihre Wirbelsäule vernehmlich knackte. Schließlich hockte sie sich auf ihren Rucksack und machte eine Bestandsaufnahme ihres Körpers.
Erbärmlich! Ihre Kleidung war zerrissen und dreckig. Schrammen, Schnitte und Schürfwunden bedeckten ihre Arme und vermutlich auch ihr Gesicht, zumindest fühlte es sich so an. Ihr Kopf pochte und die Muskeln in ihrem Rücken waren verkrampft. Am schlimmsten aber hatte es ihren Fuß erwischt. Der Knöchel war dick geschwollen und bläulich angelaufen. Mageli wusste nicht, wie lange sie noch würde laufen können. Sie hatte Hunger und
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