Elfenblick
Menschenwelt kam. Wie sollte sie das bitte beweisen? Sie überlegte angestrengt, welche typisch menschlichen Eigenschaften sie hatte, aber ihr fielen keine ein. Sie hatte nie in die Menschenwelt gepasst. Vermutlich weil an ihr nichts typisch menschlich war!
Sie verfluchte Ondulas dafür, dass er ihr die elfische Kleidung aufgenötigt hatte. Vielleicht wären die anderen schneller überzeugt, wenn sie in Jeans und Turnschuhen vor ihnen säße. Aber die Kleider steckten jetzt in ihrem Rucksack. Der Rucksack! Darin befand sich alles, was sie aus ihrem alten Leben mitgenommen hatte, und vielleicht war ja irgendetwas dabei, womit sie die Elfen überzeugen konnte. Sie fing an, ihre Habseligkeiten auszupacken. Als Erstes zog sie das Handy heraus und hielt es hoch. Die Elfen musterten es nur verständnislos. Sie kramte weiter. Mäppchen, Stifte, Kaugummis beförderte sie heraus, aber nichts löste bei ihren Beobachtern eine Reaktion aus. Ihr Schlüssel, Haargummis, das Päckchen Streichhölzer …
»Da, schaut«, sagte Surani. Sie beugte sich vor und griff nach den Streichhölzern. »Ich kenne das hier. Das sind die kleinen Hölzchen, mit denen die Menschen Feuer machen. Umständlich, wenn ihr mich fragt. Aber wirkungsvoll.«
»Richtig«, mischte sich Rikjana ein. »Die Menschen benötigen solche Hilfsmittel, um Feuer zu machen. Ja, ich erinnere mich auch.«
Die anderen nickten zustimmend. Alle bis auf Bilian.
»Das wollt ihr als Beweis gelten lassen? Ein Päckchen mit Feuerhölzchen? Was seid ihr alle leichtgläubig! Nun, mir soll es gleich sein. Ich gehe jetzt. Ihr wisst ja, wo ihr mich findet, wenn ihr wieder zu Verstand gekommen seid.« Bilian sprang auf und verschwand durch die Türöffnung in die Küche.
Rikjana schüttelte ungeduldig den Kopf. »Oh, immer muss Bilian anderer Meinung sein«, seufzte sie und lächelte entschuldigend in Magelis Richtung.
»Wie ist es denn jetzt dort oben bei den Menschen?«, stieß Zita plötzlich mit einer Stimme hervor, die wie tausend Glöckchen klang. Mageli drehte sich überrascht und erleichtert zu ihr um. Die anderen hatten also beschlossen, ihr zu glauben. Leider wusste sie nicht, was sie auf Zitas Frage antworten sollte.
»Ist die Welt dort oben, ist sie … noch so schön, wie wir sie gekannt haben?«, hakte nun auch Florim nach. Seine Stimme hörte sich ebenfalls an wie Glockenklang, nur eine Oktave tiefer als die seiner Schwester.
Mageli zögerte noch immer. Wie lange lebten die Elfen jetzt im unterirdischen Reich? Hundert Jahre oder sogar noch länger? Wie hatte die Welt vor über hundert Jahren ausgesehen?
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich glaube, es hat sich einiges verändert. Es hat unheimlich viele technische Entwicklungen gegeben seither: schnelle Autos, Flugzeuge, Fernseher, Waschmaschinen, Handys, Computer …«
Verständnislos blickten die anderen sie an.
»Stimmt, damit könnt ihr ja nichts anfangen. Tja, ich schätze, ich kann diese Frage nicht so richtig beantworten. Ihr müsstet es euch vermutlich selbst angucken.«
»Das würde ich gern …« Zita hörte sich sehr wehmütig an.
»Das würden wir wohl alle gern«, ergriff Rikjana mit deutlicher Entschiedenheit das Wort. »Und ich denke, dass die Arbeit unseres Kreises künftig neue Formen annehmen muss. Es kann nicht mehr nur darum gehen, das Unrecht zu bekämpfen, das wir Lichtelfen hier im Dunklen Reich tagtäglich erdulden müssen, die Wunden derer zu heilen, die sich Ferocius und seinen Schergen widersetzt haben, und Ausgleich zu suchen für all die kleinen und großen Entbehrungen, die er unserem Volk zunehmend zumutet. Wir müssen noch aktiver werden! Wir müssen uns dafür einsetzen, dass seine Weltuntergangslüge als solche enttarnt wird und wir in unsere alte Heimat zurückkehren können!«
»Schön gesagt, Rikjana«, stimmte Ondulas der Rednerin zu und klatschte dreimal in seine Hände. Auch die anderen deuteten einen Applaus an. Mageli hatte das Gefühl, in eine politische Veranstaltung geraten zu sein. Allmählich wurde ihr klar, dass es sich bei diesem kleinen Kreis um eine Art Widerstandsgruppe handeln musste. Erin hatte ja nur angedeutet, dass es im Dunklen Reich für die Lichtelfen nicht zum Besten stand, aber offenbar gab es Elfen, die sich gegen diese Zustände auflehnten. In ihr erwachte die Hoffnung, dass sie in diesem Grüppchen vielleicht Verbündete gefunden hatte, die sie bei ihrer eigenen Mission unterstützen konnten. Sie nahm ihren Mut
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