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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sagte Nani. Sie ließ wenigstens die direkte Anrede weg, aber Pia spürte, wie schwer es ihr fiel. Nach Lasar war es das zweite Mal, dass sie diese sonderbare Reaktion erlebte, und sie beschloss, das Thema nicht noch einmal anzusprechen, bevor sie nicht eine Menge mehr über die Leute hier und ihre komplizierten Sitten und Gebräuche gelernt hatte.
    Nani wartete ab, ob sie noch weitere Befehle hatte, erst dann ging sie endgültig. Pia wickelte sich enger in die gleich drei Lagen warmer Decken, die Nani ihr gegeben hatte, schloss die Augen und schmiegte die Finger so fest um den Becher, wie sie es gerade noch wagte, ohne ihn zu zerbrechen. Der Wein war noch immer so heiß, dass er aus dem Becher dampfte, und sie sog gierig jedes bisschen Wärme mit den Fingern auf, das durch den dicken Ton drang. Außerdem begann sie den Alkohol zu spüren, obwohl sie nur einen einzigen Becher getrunken und an diesem zweiten bloß genippt hatte. Aber das war ihr mit einem Mal egal. Sie hatte niemals viel davon gehalten, sich zu betrinken, doch jetzt kam ihr der Gedanke durchaus verlockend vor. Warum nicht einfach für eine kleine Weile alles hinter sich lassen und in einen tröstenden Rausch flüchten?
    Statt diesem – durchaus verlockenden – Gedanken nachzugeben, nahm sie nur noch einen letzten winzigen Schluck, stellte den Becher dann auf den Tisch und schob ihn absichtlich gerade weit genug von sich fort, dass sie ihn nicht wieder erreichen konnte, ohne sich vorzubeugen, dann wickelte sie sich noch enger in ihre Decken und warf dem prasselnden Kaminfeuer einen sehnsüchtigen Blick zu. Sie war schon so nahe an die Flammen herangerückt wie überhaupt möglich, ohne ihre Decken gleich mit in Brand zu setzen, und es war im Zimmer auch nicht zu kalt; ganz im Gegenteil. Pia bezweifelte, dass in dem kleinen Kamin jemals ein größeres Feuer gelodert hatte. Trotzdem fror sie immer noch so erbärmlich, dass sie mit den Zähnen zu klappern begann, sobald ihre Konzentration ein wenig nachließ. Bisher hatte sie es nicht gewagt, sich diesem Gedanken zu stellen, aber nun wurde ihr klar, dass sie nur sehr knapp dem Tod entronnen war. Wären Nani und ihre Freunde auch nur ein paar Augenblicke später aufgetaucht, um Alica und sie aus dem Brunnen zu ziehen …
    Pia spürte eine wohlige Mattigkeit, als die Wärme und das Gefühl der Sicherheit allmählich doch ihre Wirkung zu entfalten begannen. Sie kämpfte nicht dagegen an, sondern gestattete ihren Gedanken ganz bewusst, ein wenig abzuschweifen. Vermutlich würde sie jede Minute, die sie jetzt hier saß und Kraft tankte, später noch sehr dringend brauchen.
    Ein gedämpftes Poltern drang durch die geschlossene Tür und ließ sie aufblicken. Ihr Herz schlug plötzlich schneller, und sie konnte das Adrenalin spüren, das in ihren Kreislauf schoss. Aber das Poltern wiederholte sich nicht. Alles blieb still.
    Pia entspannte sich wieder und schüttelte den Kopf über ihre eigene Nervosität. Sie war völlig grundlos. Nani und ihre Freunde passten gut auf sie auf, das bewies allein die Tatsache, dass Alica und sie hier waren. Sie hatten weit mehr getan, als sie aus dem Wasser zu ziehen. Zwar erinnerte sie sich nicht mehr genau, wie sie hierhergekommen waren (oder wo dieses hier war), sondern hatte nur ein wildes Durcheinander aus Bildern, Geräuschen und – ausnahmslos kalten – Erinnerungsfetzen im Kopf. Aber da waren Schreie gewesen, sie erinnerte sich an Uniformen und Waffen und daran, gerannt zu sein, und sie glaubte auch noch die Geräusche eines Kampfes zu hören, war sich aber nicht ganz sicher.
    Der Gedanke führte zu einem anderen, nämlich zu Brack und dem Weißen Eber, und Pia registrierte mit einem Gefühl leisen Erstaunens, dass sie die Vorstellung, weder ihren schmierigen Wohltäter noch den Weißen Eber jemals wiederzusehen, beinahe ein bisschen traurig stimmte. Immerhin war die heruntergekommene Kaschemme in den letzten beiden Wochen für Alica und sie das gewesen, was einem Zuhause noch am nächsten kam.
    Pia dachte mit einem sachten Anflug von schlechtem Gewissen an Alica, die im Nebenzimmer im Bett lag und schlief. Sie war irgendwo auf halbem Wege zusammengebrochen, sodass Nanis Freunde sie hatten tragen müssen. Angeblich ging es ihr gut, und alles, was sie brauchte, waren ein bisschen Wärme und zwei oder drei Stunden Schlaf; jedenfalls hatte Nani das behauptet. Pia glaubte ihr, aber sie hätte trotzdem zu ihr gehen und sich selbst davon überzeugen sollen, wie es um sie

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