Elfenblut
auszustrecken schienen, und das aus allen Richtungen, ganz egal, wohin sie auch blicken mochte.
»Geht es wieder?«, wandte sie sich an Alica.
»Nein. Aber ich nehme an, das ist dir egal, oder?«
»Wenn du noch ein bisschen hier bleiben willst …«, antwortete Pia und hob die Schultern. »Ist doch ganz kuschelig, oder?«
Alica schenkte ihr einen giftigen Blick und stieß sich von dem Baumstamm ab – oder wollte es wenigstens. Ihr Umhang hatte sich in einem der knorrigen Äste verfangen, und als sie sich loszureißen versuchte, zerrte sie sich ganz versehentlich die Kapuze vom Kopf, und prompt verhedderte sich auch ihr Haar in dem dürren weißen Gespinst des tief hängenden Astes, unter dem sie angehalten hatte. Erst als Pia rasch hinzutrat und ihr half, gelang es ihr überhaupt, sich zu befreien.
»So ein Mist!«, schimpfte sie. »Wirklich, eine ganz grandiose Idee, hierherzukommen!«
Pia sagte vorsichtshalber nichts dazu, sondern zupfte Alica ein paar abgebrochene Äste aus dem Haar und beäugte den Zweig, in dem sie sich verfangen hatte, misstrauisch. Seltsam …sie hätte schwören können, dass der Ast vorher höher gehangen hatte, als Alica sich an den Baum lehnte.
»Lass uns weitergehen«, sagte sie nur. »Hier gefällt es mir nicht. Und pass auf, wo du hintrittst.«
»Sicher doch«, giftete Alica. »Insbesondere nicht in den falschen Wald.«
Aber das waren sie längst, dachte Pia schaudernd. Sie hätte auf Alica und ihre eigene innere Stimme hören sollen. Mit diesem Wald stimmte etwas nicht. Er war nicht nur unheimlich; er war gefährlich .
Sie hatten noch kein weiteres Dutzend Schritte gemacht, als sie erlebten, wie gefährlich.
Alica ging voraus, ganz einfach weil Pia instinktiv spürte, dass es besser war, sie im Auge zu behalten, und obwohl sie sich Mühe gab, den Bäumen nicht einmal nahe zu kommen, verfing sich ihr Umhang schon wieder in einem tief hängenden Ast. Fluchend versuchte sie sich loszureißen, verhedderte sich nur noch mehr und klang plötzlich eher erschrocken als zornig. Irgendetwas schien sich hinter und über ihr zu bewegen, aber zu schattenhaft und zu schnell, um es eindeutig zu erkennen.
Pia trat rasch hinzu, hielt Alicas wild fuhrwerkenden Arm fest und zog dann überrascht die Augenbrauen zusammen, als sie sah, wie hoffnungslos Alica sich in den wenigen Augenblicken verstrickt hatte. Einige der wie versteinertes totes Gedärm wirkenden Ranken hatten sich wie Schlangen um ihre Arme und Beine gewickelt und machten es ihr immer schwerer, sich überhaupt noch zu bewegen.
»Halt still!«, sagte Pia, wärend sie sich auf die Knie sinken ließ und zuerst zögerlich, dann immer fester zugriff, um die Ranken zu zerreißen. Es ging, kostete sie aber enorme Anstrengung. Ihre Hände waren zerschrammt und blutig, als sie Alica endlich aus dem Gewirr befreit hatte.
»Das ist doch nicht normal!«, beschwerte sich Alica. »Was zum Teufel ist denn das für ein Zeug?« Sie versuchte wütend zu klingen, doch es gelang ihr nicht, ihre Furcht zu überspielen.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Pia nervös. »Weiter. Lauf!«
Unglückseligerweise reichte das nicht. Alica verfing sich noch mehrere Male in tief hängenden Ästen, die oft genug wie aus dem Nichts aufzutauchen schienen. Manchmal kam es Pia beinahe so vor, als würde das knorrige Geäst regelrecht nach Alica greifen, aber diesen Gedanken wollte sie gar nicht zu Ende denken.
Nach einer schieren Ewigkeit – jedenfalls kam es ihr so vor – schimmerte es vor ihnen wieder hell durch die Bäume, und allein dieser Anblick verlieh ihnen die Kraft, dieses Stück schneller zurückzulegen; auch wenn Alica auf den letzten Metern noch einmal im Geäst hängen blieb und einen großen Fetzen ihres Umhanges und ein paar Haarsträhnen bei dem Versuch einbüßte, sich mit Pias Hilfe loszureißen. Endlich stolperten sie nebeneinander aus dem Wald. Pia erkannte die Gefahr und prallte mit einer erschrockenen Bewegung zurück, aber es war natürlich zu spät. Wie aus dem Nichts erschienen zwei, drei, schließlich vier Gestalten rings um sie herum, und noch bevor Pia auch nur richtig begriff, was geschah, hatten zwei von ihnen Alica bereits gepackt und zu Boden gerungen. Pia selbst entging den zupackenden Händen der anderen durch eine gedankenschnelle Bewegung und einen hastigen Schritt, mit dem sie wieder halb zwischen die vereisten Bäume zurückwich. Erstaunlicherweise verzichteten die beiden Männer darauf, ihr sofort nachzusetzen. Aber das
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