Elfenherz
der Wimper zu zucken. »Wusstest du, dass sie dich bestiehlt?
Dass sie die oberste Schicht deiner Zaubertränke abschöpft, wie der Irrwicht die Sahne von der Milch?« Mabry packte Val am Arm und schob ihren Ärmel hoch, sodass Ravuös die schwarzen Stellen in ihrer Ellbogenbeuge sehen konnte, die aussahen, als hätte jemand eine Zigarette auf ihrer Haut ausgedrückt.
»Und hier, sieh dir das an - unser Heilmittel drückt sie sich in die Adern. Und jetzt, Ravus, sag mir, wer der Giftmörder ist? Willst du für ihre Sünden büßen?«
Val streckte die Hand nach Ravus aus. Er wich zurück.
»Was hast du getan?«, fragte er mit schmalen Lippen.
»Ja, ich habe mir die Zaubertränke gespritzt«, gab Val zu. Es war jetzt sinnlos, irgendetwas abzustreiten.
»Warum hast du das getan?«, fragte er. »Ich dachte, es wäre harmlos, nur dazu da, die Elfen vor dem Eisen zu schützen.«
»Nimmer... es macht... Menschen werden... wie Elfen.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber in seinem Gesicht konnte sie bereits lesen: Es war dir egal, dass ich ein Ungeheuer bin, weil du selbst eines bist.
»Ich habe mehr von dir erwartet«, sagte Ravus. »Ich hatte alles von dir erwartet.«
»Es tut mir leid«, sagte Val. »Bitte, ich möchte es dir erklären.«
» Menschen «, sagte er mit vor Abscheu triefender Stimme. »Lügner, alle miteinander. Jetzt verstehe ich, warum meine Mutter sie so gehasst hat.«
»Wegen des Nimmers habe ich gelogen, aber das mit
dem Kamm ist die Wahrheit. Ich lüge nicht ständig und überall.«
Er packte Val an der Schulter, mit Fingern, so schwer, dass sie sich fühlte, als hielte ein Stein sie. »Jetzt erkenne ich, was du an mir so liebtest. Die Zaubertränke.«
»Nein?
Als sie zu Ravus’ Gesicht aufschaute, war dort nichts Vertrautes mehr, nichts Liebenswertes. Sein Krallendaumen lag fest an ihrer Halsschlagader. »Es ist Zeit für dich zu gehen.«
Val zögerte. »Lass mich nur noch...«
»Geh!«, schrie er, stieß sie heftig von sich und ballte die Finger so fest zu einer Faust, dass sich die Krallen in seine eigenen Handballen drückten.
Val taumelte rückwärts, ihre Kehle schmerzte.
Ravus wandte sich an Mabry: »Sag wenigstens, dass deine Rache gestillt ist. Sag wenigstens das.«
»Nicht im Geringsten«, erwiderte Mabry böse lächelnd. »Ich habe dir einen Gefallen erwiesen.«
Val ging den Weg zurück, den sie gekommen war, durch die Nebelwand, durch den Wald und hoch zum Schloss, mit verschwommenem Blick und wehem Herzen. Als sie so die fernen Lichter der Stadt betrachtete, dachte Val auf einmal an ihre Mutter. Hatte sie sich so gefühlt, nachdem Tom und Val sie verlassen hatten? Wäre sie gern zurückgegangen und hätte noch einmal ganz von vorn angefangen, wenn sie es nur gekonnt hätte?
Als Val über die Steine und Felsen kletterte, sah sie die rot glühende Spitze von Ruths Nelkenzigarette, schon bevor sie den Rest ihres notdürftigen Lagers erreichte. Ruth stand auf, als Val fast bei ihr war. »Ich dachte, du hättest mich schon wieder zurückgelassen.«
Val warf Lolli und Luis einen Blick zu, die zusammengerollt schliefen. Luis sah anders aus, mit dunklen Ringen unter den Augen und bleicher Haut. »Ich war nur spazieren.«
Ruth nahm noch einen langen Zug, die brennende Zigarette sprühte Funken. »Klar, dein Freund Dave war auch nur mal kurz spazieren.«
Val dachte an das Elfenfest und überlegte, ob Dave vielleicht auch dort war, noch so eine Naschkatze, die betäubt unter launenhaften Wesen wandelte.
»Ich... ich.« Val musste sich setzen. Völlig außer sich barg sie ihr Gesicht in den Händen. »Ich habe alles vermasselt. Ich habe alles vollständig und endgültig versaut.«
»Was meinst du damit?« Ruth setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Das ist schwer zu erklären. Es gibt Elfen, echte Elfen, wie aus Final Fantasy, und einige wurden vergiftet, und dieses Zeug, das ich da nehme - ist schon eine Art Droge, aber eben auch magisch.« Val spürte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen, und wischte sie wütend weg.
»Weißt du was?«, sagte Ruth nach einer Weile. »Die Leute weinen gar nicht, wenn sie traurig sind. Das glaubt zwar jeder, aber das stimmt nicht. Man weint vor Frust oder wenn einem alles zu viel wird.«
Val hielt immer noch den Kamm der Meerjungfrau in der Hand, aber sie hatte ihn so fest umklammert, dass er zerbrochen war. Geblieben waren nur dünne Muschelschichten, sonst nichts. Damit konnte sie nichts beweisen.
»Okay,
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