Elfenherz
dass du...«, sagte Ravus. »Ich wollte nicht, dass du das siehst.«
Sie hätte beinahe gelacht. »Du siehst so geschockt aus. Hat dich noch nie jemand geküsst?« Val hätte am liebsten weitergemacht, aber sie traute sich nicht.
Seine Stimme war kühl. »Bei der ein oder anderen seltenen Gelegenheit.«
»Fandest du es schön?«
»Jetzt oder damals?«
Val holte tief Luft und atmete seufzend wieder aus.
»Sowohl als auch.«
»Ich fand es schön«, sagte er leise. Erst dann fiel ihr ein, dass er ja nicht lügen konnte.
Sie strich ihm über die Wange. »Küss mich zurück.«
Ravus fing ihre Hand ein und drückte sie so fest, dass es wehtat. »Genug«, sagte er. »Egal welches Spiel du spielst, hör sofort damit auf.«
Ernüchtert entzog Val ihm ihre Hand und trat mehrere Schritte zurück. »Es tut mir leid... ich dachte...« In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, was sie gedacht hatte, warum sie den Kuss für eine gute Idee gehalten hatte.
»Komm mit«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Ich bringe dich in den Tunnel zurück.«
»Nein«, sagte Val.
Er blieb stehen. »Es wäre sehr unvernünftig, hierzubleiben, egal was du...«
Val schüttelte den Kopf. »Das meine ich doch gar nicht. Unser Schlafplatz ist aufgeflogen. Wir können nicht zurück.« Es war lange her, dass sie irgendwohin hatte zurückgehen können, zu irgendwem.
Er spreizte die Hände, als wollte er etwas Unaussprechliches andeuten. »Wir wissen beide, dass ich ein Ungeheuer bin.«
»Du bist kein...«
»Du erniedrigst dich, wenn du verfaultes Fleisch mit Honig übertünchst. Ich weiß, was ich bin. Was solltest du mit einem Ungeheuer anfangen?«
»Alles«, erwiderte Val ernst. »Entschuldige, dass ich dich geküsst habe - es war egoistisch und hat dich verletzt -,
aber du kannst nicht verlangen, dass ich so tue, als hätte ich es nicht gewollt.«
Er betrachtete sie misstrauisch, als sie wieder auf ihn zuging. »Ich bin nicht besonders gut in so was«, sagte sie. »Aber ich finde, du hast schöne Augen. Ich liebe das Gold darin. Ich liebe es, dass sie anders sind als meine Augen - meine sehe ich die ganze Zeit und das langweilt mich.«
Er gab ein amüsiertes Schnauben von sich, schwieg aber.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte das blasse Grün seiner Wange. »Ich mag all das, was dich zum Ungeheuer macht.«
Ravus strich mit seinen langen Fingern durch ihren Pfirsichflaum; seine Krallennägel sorgsam an ihre Kopfhaut gelegt. »Ich habe Angst, dass ich alles verderbe, was ich berühre.«
»Ich habe keine Angst davor, verdorben zu werden«, sagte Val.
Der Troll zuckte mit dem Mundwinkel.
Da gellte die Stimme einer Frau durch die Luft, schrill wie eine helle Glocke. »Du hast also doch um Silarials Besuch gebeten.«
Val drehte sich blitzschnell um. Mabry stand im Hof, rankendes Haar im Wind. Um sie herum starrten die Elfen sie an - das roch nur so nach neuem Tratsch.
Ravus legte Val die Hand auf den Rücken und sie spürte die gekrümmten Nägel an ihrer Wirbelsäule. Mit ausdrucksloser Stimme sagte er zu Mabry: »Die Gnade der Dame Silarial mag scheußlich sein, aber ich habe keine andere
Wahl, als mich ihr zu unterwerfen. Ich weiß, dass sie gekommen ist, um mit dir zu reden. Wer weiß, vielleicht erlaubt sie deine Rückkehr an den Hof, wenn sie sieht, wie unglücklich du bist und wie hilfreich.«
Mabry verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln. »Wir alle sind ihrer Gnade ausgeliefert. Doch nun will ich dir zurückzahlen, was du für mich getan hast.«
Val griff in ihre Hosentasche, um Mabry ihren Kamm zurückzugeben, dessen Zinken sich in ihre Finger drückten, als sie ihn herauszog. Mit Seetang umschlungene Perlen und Raspeln aus Sanddollars klebten noch an dem Kamm. Als sie ihn so betrachtete, erschien Val plötzlich die Meerjungfrau vor ihrem inneren Auge, mit der Kette aus aufgefädelten Perlen und Muscheln, mit diesen toten Augen, die Val bis in alle Ewigkeit anstarrten, während ihr Haar auf dem Wasser trieb, ohne den passenden Kamm.
Als sie den Kamm in ihren tauben Fingern hielt, begriff Val, dass es der Kamm einer Toten war.
»Den hat Mabry mir gegeben«, sagte Val.
Ravus betrachtete ihn mit milder Miene, eindeutig, ohne den Zusammenhang herzustellen.
»Er hat der Meerjungfrau gehört«, sagte Val. »Sie hat ihn der Meerjungfrau weggenommen.«
Mabry protestierte. »Und wieso hast du ihn dann in der Hand?«
»Sie hat ihn mir gegeben...«
Mabry wandte sich an Ravus und unterbrach Val, ohne mit
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