Elfenkind
verlor sie auch schon fast das Gleichgewicht.
Durch ihren Körper tobte ein Schmerz, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Er breitete sich wie ein Feuer aus, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Sie brannte lichterloh, ihr Atem versengte ihr die Luftröhre und Hitze statt Sauerstoff kam in ihren Lungen an. Sie verkrampfte sich unter dem Schmerz und taumelte. Bevor ihr endgültig die Beine einknickten, fühlte sie, wie seine Arme sie umfingen und hochhoben.
Vorsichtig legte er sie zurück aufs Bett, behielt den Arm jedoch um sie gelegt, um sie zu stützen. Sie wimmerte vor Qual. Jeder Atemzug tat weh und ihr Herz klopfte, als wolle es augenblicklich in tausend Stücke zerspringen. Es dauerte endlose Minuten, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Der Schmerz in ihrem Rücken war immer noch da, aber das Brennen in ihrer Brust hatte nachgelassen und sie atmete wieder ein bisschen tiefer ein. Vorsichtig legte er sie aufs Bett zurück.
«Je suis désolé …», sagte er sanft, «aber ich kann dir diese Qualen nicht ersparen.»
Sie schaute zu ihm auf, in die von einem dichten Kranz rabenschwarzer Wimpern umrahmten dunkelgrauen, fast silbrig schimmernden Augen, die auf eine unbestimmbare Weise vertrauenerweckend wirkten. Sie wusste, dass sie diese Augen in ihrem ganzen Leben nie wieder vergessen würde.
«Was geschieht mit mir?», flüsterte sie. Längst war ihr klar, dass das keine einfachen Rückenschmerzen sein konnten. Etwas passierte in ihr, etwas Großes.
«Du findest deine wahre Gestalt.»
«Was?»
«Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, es dir zu erklären. Aber wenn stimmt, was ich vermute, wirst du dich jetzt gleich verwandeln.»
Aliénor starrte den Fremden an. Er sah eigentlich gar nicht verrückt aus. Oder war sie es, die gerade wahnsinnig wurde und das alles nur halluzinierte? War es vielleicht alles nur ein Traum?
Wie auch immer, einer musste hier einen klaren Verstand behalten. «Verwandeln?», sagte sie also vernünftig. »In was bitte soll ich mich verwan…?»
In diesem Augenblick verstärkte sich das Zerren und Reißen im Bereich ihrer Schulterblätter, als würde alles auseinanderbrechen. Sie schoss hoch und griff instinktiv wieder nach seiner Hand. Der Schmerz war so intensiv, dass er ihr Tränen in die Augen trieb. Nein, das war kein Traum. Das war die Realität.
«Bitte», stöhnte sie. «Ich brauche einen Arzt.»
«Bei dem, was hier geschieht, kann dir kein Arzt helfen, Aliénor.» Er ließ sie für einen kurzen Moment los, um aus seinem Mantel zu schlüpfen. Dann hielt er ihr beide Hände hin, bot ihr einen festen Anker in ihrer schwankenden Welt. «Halt dich fest. Ich werde dir, so gut ich kann, zur Seite stehen. Und wenn es vorbei ist, wirst du keine Schmerzen mehr haben. Das verspreche ich dir.»
Seine Stimme klang so fest, so überzeugt, dass sie sich tatsächlich besser fühlte. Sie kniete vor ihm, klammerte sich an seine Hände. Ihr wurde bewusst, dass sie nur ein dünnes Nachthemd trug, durch das sich ihr Körper abzeichnete. Dennoch fühlte sie keine Scham. Sie fühlte, dass das, was hier geschah, über solch einfache Gefühle erhaben war.
«Wer … wer sind Sie?», fragte sie und krümmte sich in der nächsten Sekunde wieder unter einem neuen Ansturm des Schmerzes zusammen.
Er hielt sie ganz fest, stützte sie mit seinem Körper. «Lass es geschehen», flüsterte er an ihrem Haar, «wehre dich nicht. Das ist eine Neugeburt. Und die geht leider – wie jede Geburt – nicht ohne Schmerzen vonstatten. Aber wenn es ausgestanden ist, wirst du auch etwas ganz Wunderbares dafür bekommen.»
Sie presste stöhnend ihre Stirn gegen den dünnen Stoff über seiner Schulter. Der Schmerz raste wie ein Blitz ihre Wirbelsäule hinunter, schoss durch die Beine nach unten und ihre Füße zuckten, ohne dass sie irgendetwas hätte dagegen tun können. «Was auch immer es ist, was ich bekomme», keuchte sie, «ich bin mir nicht sicher, dass es das hier wert ist.»
«Oh, das ist es ganz sicher.» Seine Stimme klang fast ein wenig amüsiert. Schön, dass hier wenigstens einer Spaß hatte. «Hast du dich nie gefragt, warum du soviel kleiner und zarter bist als deine Eltern?», fuhr er fort. «Warum du Gerüche und Töne wahrnimmst, die andere nicht einmal erahnen, geschweige denn tatsächlich empfinden?»
«Doch», stöhnte sie.
«Deine wahren Gene machen sich bemerkbar. Meine kleine … Elfe.»
Man hatte Aliénor als Kind für ihre kleine Statur gehänselt. Zwerg hatten sie zu ihr gesagt, Kleine,
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