Elfenkind
für keinen anderen Mann hatte sie so etwas empfunden.
Seine tiefe Stimme riss sie aus ihren wirren Gedanken.
«Wie fühlst du dich, ma petite? »
Sie erwiderte sein Lächeln. «Ich weiß nicht. Anders. Können Sie mir erklären, was geschehen ist?»
Sein Lächeln verbreiterte sich, wurde zu einem Grinsen. «Denkst du nicht, dass wir uns nach dem, was wir hier zusammen erlebt haben, duzen können? Ich heiße Frédéric.»
«Aliénor», erwiderte sie automatisch, obwohl er das ja offensichtlich wusste. Jetzt, wo es ihr besser ging, hatte sie tausend Fragen, doch bevor sie auch nur eine einzige stellen konnte, stand er auf. Er streckte ihr die Hand entgegen. «Komm. Schau in den Spiegel und entdecke dein neues Ich.»
Aliénor sah ihn an. Sie griff nach der Decke, um sie sich vor die nackten Brüste zu halten, entschied dann aber, dass es jetzt zu spät war, mädchenhafte Scham zu zeigen, und nahm seine Hand.
Frédéric führte sie zum Kleiderschrank, direkt vor die verspiegelte Tür. Aliénor starrte ihr Spiegelbild an. Sie konnte es nicht glauben. Mit aufgerissenen Augen betrachtete sie sich, drehte sich hin und her. Die Schmerzen und Verspannungen, die sie gequält hatten, ergaben auf einmal einen Sinn. Die letzten Wochen ergaben einen Sinn. Sogar Frédérics Worte ergaben einen Sinn.
Trotzdem war es kaum zu fassen. Ihre Schulterblätter hatten sich gestreckt, verformt und aus ihnen heraus war ein zartes Gerüst gewachsen, mit einem noch zarteren weißen Gespinst dazwischen, das noch dabei war, sich zu seiner ganzen Pracht zu entfalten.
Wie bei einem Schmetterling, der gerade seinen Kokon verlassen hat, streckten und glätteten sich ihre Flügel. Mit jeder Minute entfalteten sie sich ein kleines Stück mehr, wurden sie größer und imposanter, bis der Eindruck von Feuchtigkeit und verklebten Strukturen verschwand. Stattdessen begannen sie im dämmrigen Licht des Raumes wie Perlmutt zu schimmern.
Aliénor war von dem fremdartigen Anblick so fasziniert, dass sie für einen Moment vergaß, dass sie selbst diejenige war, zu der diese Flügel gehörten. Nur allmählich holte sie die Wirklichkeit wieder ein. Sie suchte Frédérics Blick im Spiegel. Sie hatte Angst, ihre Gedanken auszusprechen.
«Wer bin ich?» Nur mit Mühe brachte sie die Worte über ihre Lippen. Sie las die Antwort in Frédérics Augen, in seinem Spiegelbild hinter ihr. «Das war also wirklich kein Scherz, das mit der Elfe?»
Frédéric nickte. «Du wirst dich damit abfinden müssen, Aliénor. Du bist halb Mensch, halb Elfe.»
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Das war doch unmöglich. Aber das leichte Ziehen an ihrem Rücken, wo sich die Flügel weiter entfalteten, ein unwillkürliches Muskelzucken, das ein kleines Flattern zur Folge hatte, sagte ihr, dass es tatsächlich die Wahrheit war.
Sie wusste nicht, wie lange sie sich im Spiegel betrachtet hatte, als er wieder sprach: «Ich fürchte, ich muss dich jetzt verlassen.»
Sie drehte sich ihm abrupt zu. Irgendwie war er in dieser Nacht zu ihrem Vertrauten geworden. Ihr einziger Halt in einer plötzlich völlig neuen Welt. Und jetzt wollte er gehen. Und sie mit all diesem Neuen allein lassen.
Natürlich musste er irgendwann gehen. Aber musste es so bald sein?
Vermutlich hatte er ihr ihre Gedanken und Gefühle an der Nasenspitze angesehen. «Glaub mir», sagte er sanft und mit echtem Bedauern in der Stimme, «ich würde nicht gehen, wenn es nicht wirklich unumgänglich wäre.»
«Warum?», fragte sie und hasste sich selbst dafür, dass ihre Stimme so kleinlaut klang.
Er zögerte einen langen Augenblick und sagte dann: «Die Sonne geht auf.»
Sie lachte auf. Der Grund schien ihr so prosaisch. Wollte er nicht gesehen werden, wie er aus ihrem Zimmer schlich?
«Die Sonne geht auf? Bist du etwa ein Vampir?», neckte sie ihn.
Er sah sie einen langen Augenblick an. «Ich muss jetzt gehen», wiederholte er nur sanft.
Natürlich musste er gehen. Was hatte sie denn gedacht? Dass er für immer bei ihr bleiben und ihr die Hand halten würde? Hört sich gar nicht so schlecht an, diese Idee, dachte sie. Aber natürlich war das Unsinn.
«Wirst du wiederkommen?», konnte sie sich dennoch nicht zurückhalten zu fragen.
Er lächelte und wieder spürte sie dieses Lächeln bis hinunter in ihre Zehen. «Natürlich. Ich muss doch noch all deine hundert Fragen beantworten, die du ohne Zweifel hast.»
Sie nickte heftig. «Oh, ja. Die habe ich.»
Plötzlich wurde er wieder ernst. «Die nächsten
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