Elfenkind
erfüllt. Nacht für Nacht verbrachte sie hier und ging völlig in der Aufgabe der Forschung auf.
Wie immer erfüllte ihr Anblick sein Innerstes mit einem warmen Gefühl, eine Art von Zärtlichkeit, die so ganz anders war als das, was Aliénor in ihm erweckte. Mit einem flüchtigen Rundumblick versicherte er sich, dass sie allein war. Einerseits war er erleichtert darüber, weil Valentine so ungestört und unbelästigt ihrer liebsten Beschäftigung nachgehen konnte, andererseits verstimmte ihn genau dieses.
Emanueles Abwesenheit störte ihn nicht, im Gegenteil. Seine penetranten Annäherungsversuche verstörten Valentine nur und brachten ihr mühsam gehütetes emotionales Gleichgewicht ins Schwanken.
Aber von Olivier wusste er, dass dieser einem neuen Hinweis nachging und systematisch die Klosterbibliotheken in Bayern auf brauchbare Informationen durchforstete. Und es gab dort viele Klöster. Außer auf alte ausgestorbene Sprachen hatte Olivier sich als einziger zusätzlich auf Deutsch und dessen Dialekte sowie die altdeutsche Schrift spezialisiert. Wie viel schöner wäre es gewesen, wenn Valentine an seiner Seite hätte forschen können. Aber er wusste, dass ihr das nicht möglich war.
Er spürte, wie seine Wut auf die Unreinen, deren brutales Vorgehen Valentines Leben so eng hatten werden lassen, hoch kochte. Er ballte die Rechte zur Faust und presste sich die Fingernägel in die Hand, bis es schmerzte. Verdammt! Er musste seine Gefühle besser kontrollieren. Vor allem in Valentines Gegenwart, die jede Stimmung hochsensibel aufnahm.
Leise näherte er sich dem Tisch. Es gelang ihm gerade noch eine entspannte Miene aufzusetzen, als sie aufschaute und ihn ansah.
«Hallo, da bist du ja. Ich hab schon gedacht, ich würde dich heute Nacht gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.»
Es lag keinerlei Vorwurf in ihrer Stimme, überhaupt machte sie ihm nie Vorwürfe, was die Sache für ihn jedoch nicht leichter machte. Im Gegenteil, sie hatte ihm mehr als einmal erklärt, er trüge keine Schuld. Gleichwohl würde er immer das Gefühl haben, versagt zu haben und seine Familie, insbesondere aber seine Schwester, ins Unglück gestürzt und ihr eine glückliche Zukunft versagt zu haben.
Er setzte sich Valentine gegenüber, unschlüssig, wie er ihr Aliénors Anwesenheit erklären sollte. Zwar verstanden sie sich gut, waren sich innerlich sehr verbunden, sogar noch mehr, seit sie ihre ganze Familie verloren hatten. Aber Überraschungsgäste hatten sie schon lange nicht mehr gehabt, und schon gar keine Elfen.
«Du hast einen Gast mitgebracht?» Frédéric schluckte. Woher wusste seine Schwester …?
Valentine lächelte besänftigend. «Der Flurfunk war schneller als du.»
«Hätte ich mir ja eigentlich denken können. Roxanne?»
Valentine nickte. Roxanne war für Valentine mehr als nur eine Bedienstete, fast eine Freundin, auf jeden Fall aber eine gute Seele, obgleich beide zueinander eine angemessene höfliche Distanz wahrten.
«Erzähl mal.» Sie strich sich eine Strähne ihres langen rabenschwarzen Haars hinter das Ohr, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und machte eine Geste nach der Art: wir sind ungestört und unter uns. «Unser Gast ist wirklich eine Elfe? Wie sieht sie aus?»
Zumindest ihre Neugier war ungebrochen.
«Wie eine Elfe eben. Klein, schlank, mit großen Flügeln, die wie Perlmutt schimmern.»
«Wann lerne ich sie kennen?»
«Morgen Abend. Sie muss sich erst ausruhen.»
Sie lächelten sich an und es tat gut, dieses Vertrauen zu spüren, das sie sich gegenseitig entgegenbrachten. Obwohl diese Situation ungewöhnlich war, ging Valentine einfach davon aus, dass er seine Gründe hatte und wusste, was er tat. Er kannte niemanden sonst, der so gelassen reagiert hätte.
«Sag mir, was passiert ist. Hängt es mit dem zusammen, was du mir neulich erzählen wolltest, als Emanuele uns gestört hat?»
Frédéric nickte. Er fasste die Ereignisse der letzten Nächte zusammen, angefangen von dem für ihn selbst unverständlichen Bedürfnis sich zum Dom zu begeben, Aliénors Rettung, der Entwicklung ihrer Flügel bis hin zu der Notwendigkeit, sie in Sicherheit zu bringen. Dabei gab er sich viel Mühe, sein emotionales Interesse an Aliénor zu verbergen und hoffte inständig, dass ihm das gelang. Es war nicht nötig, seine Schwester in sein Gefühlschaos einzubeziehen. Das musste er ganz für sich alleine regeln.
Valentine hörte ihm still zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nur als er erwähnte, dass Aliénor die
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