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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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Roxanne hielt ihr den Morgenmantel entgegen. «Wenn Sie den verkehrt herum anziehen, können Sie erstmal frühstücken, und danach werde ich Maß nehmen und dafür sorgen, dass Sie möglichst schnell passende Kleider erhalten.»
    Aliénor zögerte. Doch dann überwand sie ihre Scheu, sich einer völlig Fremden nackt zu zeigen, verließ das Bett, schlüpfte in den Morgenmantel und knotete den Gürtel zu. Ein Blick über die Schulter genügte, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Flügel jetzt voll entfaltet und schimmernd wie Perlmutt ihren Rücken zierten. Sie fühlte ein Aufwallen von Stolz, dass diese schönen, beinahe kunstvollen Gebilde jetzt ein Teil von ihr waren.
    Auf dem Tisch wartete ein üppiges Frühstück, wiederum mehr zur Auswahl, als sie je würde essen können. Als Roxanne sich zum Gehen wandte, rief Aliénor sie zurück.
    «Warten Sie, bitte. Wollen Sie nicht bleiben und mir ein wenig Gesellschaft leisten?» Sie zeigte auf die vor ihr ausgebreiteten Delikatessen. «Es ist wirklich mehr als genug für uns beide da.»
    Ihre Bitte überraschte Roxanne offensichtlich, aber schließlich nickte die junge Frau. «Ich esse um diese Uhrzeit nichts, Mademoiselle, aber wenn Sie wollen, kann ich noch etwas bei Ihnen bleiben.»
    Sie setzte sich aufrecht, ohne sich anzulehnen, auf den Stuhl Aliénor gegenüber.
    Aliénor lächelte sie an. «Das wäre nett. Aber müssen wir so förmlich sein? Sagen Sie doch bitte einfach Aliénor zu mir.» Roxanne schien ihr nur wenige Jahre älter als sie selbst und sie sah keinen Grund sich nicht einfach zu duzen.
    «Ich bin mir nicht sicher, ob das angemessen wäre», erwiderte Roxanne mit ernster Miene.
    «Warum?» Aliénor probierte von dem mit Honigfäden verzierten Pudding.
    «Ich bin eine Dienerin und Sie sind ein Gast meines Herrn. Ich weiß nicht, ob ich mich mit Ihnen auf eine Stufe stellen sollte.»
    In Aliénors Gehirn arbeitete es. Offenbar gehörten zu diesem Château gepflegte, wenn auch ein wenig angestaubte Verhaltensregeln. Sie kannte dergleichen nur aus Spielfilmen oder historischen Romanen. Hier war wohl alles etwas anders, als sie es gewohnt war. Sie könnte sich vermutlich daran gewöhnen. Die Frage war, ob sie sich überhaupt daran gewöhnen wollte.
    «Unsere Welt ist in einer strengen Hierarchie aufgebaut», erklärte Roxanne, als hätte sie Aliénors Gedanken gelesen. «Meine Familie dient der Familie des Duc de Bonville schon seit Jahrhunderten. Das ist eine große Ehre – und eine große Verantwortung.»
    «Hm», meinte Aliénor unverbindlich, während sie in eine frisch aufgeschnittene Honigmelone biss. Das hörte sich ja alles ziemlich feudalistisch an. Wer lebte denn bitte noch so?
    Nun gut, es war nicht an ihr, Jahrhunderte alte Traditionen in Frage zu stellen. Zumindest nicht hier und jetzt. Aber Roxanne konnte ihr sicher ein paar andere Fragen beantworten.
    «Wo sind wir hier eigentlich genau?», stellte sie also die Frage, die sie schon seit gestern Nacht beschäftigte.
    Als Frédéric so einfach erklärt hatte, dass sie mit ihm kommen würde, hatte sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht, wohin sie ihre Zustimmung führen würde. Irgendwie war sie davon ausgegangen, dass er in Köln selbst oder zumindest der näheren Umgebung wohnte. Aber nach der langen Fahrt durch die Dunkelheit hatte sie keine Ahnung, wo sie jetzt war.
    «Das Château de Bonville ist der Familiensitz des Duc de Bonville. Die nächste größere Stadt ist Orléans.»
    «Ah, ja. Danke. Und wer lebt hier noch, abgesehen vom Duc?», fragte Aliénor weiter.
    «Neben der Dienerschaft wohnen hier zurzeit noch Emanuele del Castello und Olivier d‘Alençon, der gerade gestern Nacht eingetroffen ist. Und natürlich Madame la Duchesse, Valentine.»
    «Aha.» Aliénor kämpfte mit sich, ob sie die nächste Frage stellen sollte, konnte sich dann aber nicht zurückhalten. Sie versuchte, ihre Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen. «Ist die Duchesse Valentine Frédérics Frau?»
    Sie glaubte, ein Lächeln in Roxannes Augen aufblitzen zu sehen. «Sie ist seine Schwester. Weder M. Le Duc, noch Madame sind verheiratet.»
    Aliénor konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie lehnte sich zufrieden in ihren Sessel zurück und biss voller Wonne in ihr Croissant au amande.
    Nach dem Frühstück nahm Roxanne an Aliénor Maß, notierte alles sorgfältig und verabschiedete sich. Aliénor zog die Sachen vom Vortag an und überlegte, was sie mit ihrer Freizeit anstellen sollte.

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