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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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unterschiedlichem Inhalt. Dann ging er wieder hinaus und kehrte mit einem Hocker ohne Lehne zurück. Die Beine waren geschwungen, auf stilisierten Raubtiertatzen stehend, vergoldet und die Sitzfläche mit einem dicken roten Polster ausgestattet.
    «Bitte, Mademoiselle.»
    Bertrand deutete auf den Hocker und Aliénor schenkte ihm ein Lächeln. Vielleicht könnte sie sich doch daran gewöhnen, bedient und umsorgt zu werden, als wäre sie eine Prinzessin. Zumindest störte er sich offensichtlich nicht daran, dass sie eine Elfe war.
    «Bon appetit, Mademoiselle. Probieren Sie einfach aus, was Ihnen schmeckt und lassen Sie alles andere stehen. Vielleicht erstellen Mademoiselle in den nächsten Tagen einen Speiseplan nach Ihren Wünschen?»
    «Gerne und vielen Dank, Bertrand.»
    «Bonne nuit, Mademoiselle.» Der Butler verschwand auf seine übliche lautlose Weise.
    Von plötzlichem Heißhunger überwältigt, hob Aliénor einen Deckel nach dem anderen an. In einer Schüssel befand sich eine köstlich nach Kräutern duftende Suppe, in einer anderen Vanillepudding mit Karamellsauce, in der nächsten Joghurt mit Honig. Das böse Magengrimmen verschwand und Aliénor probierte vorsichtig den Joghurt. Kleine Krokantstreusel schwammen in der dicken Honigschicht und sie tauchte den langstieligen Löffel tief ein, um alles miteinander zu vermischen.
    Mit dem süßen Honig auf der Zunge verschwanden ihre letzten Bedenken, dass ihr Magen das Essen nicht vertragen würde. Sie aß alles auf und kratzte die Schüssel sorgfältig aus, ehe sie sich dem Vanillepudding widmete. Erst jetzt bemerkte sie die kleinen goldfarbenen Kügelchen, die auf die Karamellsauce gestreut waren. Sie krachten zwischen den Zähnen, schmeckten jedoch nicht wie Krokant, aber auch nicht schlecht.
    Zufrieden streckte und reckte Aliénor sich. Die Verspannungen in ihrem Rücken hatten nachgelassen. Sie fühlte sich umso besser, je mehr sich ihre Flügel entfalteten und je mehr sich ihr Körper an die einschneidende Veränderung gewöhnte. Ja, sie vermochte die Flügel sogar zu bewegen, sie unterlagen tatsächlich ihrem Willen. Eine gespannte Erwartung erfasste sie, ob sie damit irgendwann auch fliegen würde. Sie traute sich nicht, fester damit zu schlagen. Vielleicht würde sie zwar abheben, aber gegen die nächste Wand krachen?
    Fliegen, was für eine grandiose Idee. Sie wäre unabhängig, frei, könnte jederzeit gehen – nein, noch besser: fliegen , wohin sie wollte. Andererseits, bei Tage war dies wohl kaum angeraten. Sie war nicht wirklich frei. Da brauchte sie sich gar nichts vormachen. Sie konnte nirgendwohin, ohne aufzufallen. Ihr bisheriges Normalo-Leben war vorbei.
    Ein Anflug von Angst überfiel sie, aber sie schob die Gedanken an ihre Zukunft beiseite. In ein paar Tagen würde sie erfahren, wie Elfen normalerweise lebten, warum man sie als Mensch nicht wahrnahm und wie ihr künftiges Leben als Elfe aussah.
    Aliénor hob die Deckel der anderen Schüsseln an. Aber sie war satt, es war einfach viel zu viel. Nur ihr Durst war noch nicht gestillt, und die Flüssigkeiten in den prächtigen Kristallgläsern konkurrierten in verschiedenen Farben um ihre Gunst. Sie entschied sich für ein Glas mit honiggelbem Inhalt, der süß roch und zugleich irgendwie anders. Sanft und schmeichelnd rann er ihre Kehle hinunter. Aliénor, die nur selten Alkohol trank, bemerkte den Alkoholgehalt sofort. Es war nicht zuviel, nicht belastend, aber herauszuschmecken. Der milde süße Honigwein linderte gleichzeitig die Trockenheit in ihrem Mund und die Anspannung in ihrem Körper.
    Satt und zufrieden schob Aliénor den Hocker zurück und drehte beschwingt eine Runde durch das Zimmer. Den elegant aussehenden Sideboards, die mit ihrer schwarzen Lackoberfläche an einer Wand standen, hatte sie bisher noch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie zog an einem der kleinen goldenen Knöpfe. Die Schublade enthielt allerlei fein gearbeitete Gegenstände wie einen Kamm aus geschnitztem Elfenbein, ein Nagelset, Schreibfedern und ein Fässchen Tinte, dazu Büttenpapier, die Ecken ein bisschen angegilbt – alles scheinbar sehr, sehr alt.
    Gähnend wandte Aliénor sich dem Bett zu und entkleidete sich. Sie warf ihre Sachen auf den Hocker und schaute sich suchend um, entdeckte jedoch nirgends ihre Reisetasche. Vielleicht befand diese sich im Ankleidezimmer. Egal, es war sowieso kein Nachthemd darin.
    Aliénor zog den Baldachin zurück, schlug die Decke auf und krabbelte auf das hohe Bett.

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