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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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Es war weich, aber nicht zu weich. Sie packte sich ein Kissen, stopfte es unter sich und versuchte, es sich auf dem Bauch liegend bequem zu machen, die Decke über sich zu ziehen und um sich zu legen, ohne ihre Flügel damit zu bedrängen. Ohne zu überlegen faltete sie ihre Flügel zusammen, schloss erschöpft die Augen und war kurz darauf tief eingeschlafen.

19
    Leise zog Frédéric die Tür hinter sich zu und lehnte seine Stirn dagegen. Er wusste, es war nicht fair, Aliénor jetzt allein zu lassen. Sie musste verwirrt sein, in dieser neuen Umgebung und nach den erschreckenden Erlebnissen der vergangenen vierundzwanzig Stunden. Es wäre seine Aufgabe gewesen, an ihrer Seite zu sein und ihr bei der Eingewöhnung zu helfen. Aber wenn er nur noch eine Sekunde länger in dem Zimmer geblieben wäre, wusste er nicht, was er getan hätte.
    Sie so zu sehen, wie sie das Zimmer erkundete, neugierig und glücklich, mit zitternden Flügelspitzen, war fast zu viel für ihn gewesen. Die filigranen Gebilde auf ihrem Rücken waren unterdessen fast vollständig entwickelt. Noch nie hatte er Schöneres gesehen.
    Seine Hand legte sich gegen die Tür, als könnte er sie durch das dicke Eichenholz hindurch spüren. Er wollte sie. Das konnte er sich unterdessen eingestehen. Ihr schmaler Körper mit den langen Beinen und den kleinen Brüsten setzte seinen Körper in Flammen.
    Damit könnte er leben. Viel vernichtender waren ihr strahlender Blick, ihr Wille zu leben, ihre Neugier und ihre Kraft. Sie berührte etwas in ihm, von dem er schon lange geglaubt hatte, dass es erloschen wäre. Nun musste er feststellen, dass es nur geschlafen und darauf gewartet hatte, von dieser zarten Elfe wieder zum Leben erweckt zu werden.
    Es war natürlich unmöglich. Was dachte er, was daraus werden sollte? Sie war nicht sein. Sie war nur auf der Durchreise. In wenigen Tagen würde sie sich auf der Suche nach ihrem Vater nach Brocéliande aufmachen, dem Heimatland der Elfen in diesem Teil Frankreichs. Es war unwahrscheinlich, dass ihr Vater von einem weiter entfernten Elfenvolk stammte. Elfen begaben sich niemals weit weg und es war schon ungewöhnlich genug, dass es überhaupt einer gewagt hatte, sich in die Nähe einer Menschensiedlung zu trauen.
    Frédéric versuchte sich einzureden, dass es besser war, wenn Aliénor möglichst bald wieder sein Schloss verließ. Er war ein Vampir, sie eine Elfe. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, was hatte er ihr zu bieten? Alles, was seine Liebe nach sich zog, war Unheil und Verderben. Und das war das Letzte, was er ihr wünschte.
    Nein, eine Verbindung zwischen ihnen war unmöglich. Er sollte aufhören zu träumen und sich der Realität stellen. Und die Realität war sein Leben als Sucher und die Prophezeiung. Beides hatte er in letzter Zeit sträflich vernachlässigt.
    Er hob den Kopf, löste seine Hand mit Mühe von der Tür und machte sich auf die Suche nach Valentine.
    Er fand seine Schwester dort, wo sie sich am liebsten aufhielt: in der Bibliothek, über ein altes Pergament gebeugt, auf dem sie behutsam mit einem Wattebausch herumtupfte. So manches Dokument enthielt zwischen den sichtbaren Zeilen versteckte Hinweise, mit einer unsichtbar gewordenen und heute in ihrer Zusammensetzung vergessenen Flüssigkeit geschrieben, um sie vor unerwünschten Lesern zu verbergen. Valentine verfügte über die nötige Geduld und das Feingefühl, diverse Chemikalien auszuprobieren, und diese Hinweise sichtbar zu machen, ohne dabei die kostbaren Schriften zu beschädigen.
    Ihr Anblick wirkte beruhigend auf ihn, so wie sie dort saß, zwischen all den Bergen von Unterlagen, mitten im Raum, dessen Wände bis zur Decke von Bücherschränken mit jahrhundertealten Büchern bedeckt waren. Eine einzigartige Bibliothek, um die sie manches Museum beneiden würde. Es war für ihn fast ein Wunder, dass sie sich ausgerechnet hier, unter den geradezu erdrückenden Lasten dicker Folianten wohl fühlte. Ihm vermittelten sie das Gefühl, dass man in jeder Minute lesen, arbeiten und studieren sollte, und doch niemals damit fertig würde.
    Aber vielleicht stellte die Bibliothek für Valentine ein Refugium dar, weil sie beide in diesem Schloss ihrer Ahnen aufgewachsen waren und Valentine schon als kleines Mädchen gerne in den Büchern gestöbert hatte. Zudem war der Raum groß, mit einer hohen Decke. Seine Hoffnung, dass sie ihr Unwohlsein in fremder Umgebung überwinden und wieder häufiger hinausgehen würde, hatte sich bisher nicht

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