Elfenkrieg
fiel Vinae schwer, nicht auszusteigen und die Schlangenschilde zurechtzuweisen, doch sie war jetzt die wohlerzogene Tochter von Meara Thesalis. Sie musste herausfinden, ob die Fürsten tatsächlich etwas mit den Drachenangriffen zu tun hatten.
Vinae vernahm, wie sich die Geräusche veränderten, als die Kutsche über die hölzerne Brücke rollte, dann hörte sie das Jammern der Bettler darunter und schließlich das Echo der Räder, als sie durch den Bogengang in den Hof fuhren. Vinae atmete tief durch und setzte ein freundliches Lächeln auf, als sich auch schon die Tür der Kutsche öffnete und Daeron in seinem schwarzen Mantel erschien. Das goldbraune Haar glänzte auf dem dunklen Stoff, unter dem ein weißes, mit Goldfäden durchzogenes Hemd hervorblitzte.
»Vinae, du bist hier.« Er verbeugte sich in all seiner Vornehmheit und reichte ihr die vielfach beringte Hand.
»Ich bin hier«, antwortete sie, bemüht, freundlich zu klingen,und ließ sich beim Aussteigen helfen. »Vielen Dank, dass Ihr mich bei Euch aufnehmt.« Sie sank in einen Knicks und blickte unter gesenkten Lidern hoch in die bernsteinfarbenen Augen, die Augen eines Raubvogels, die sie jedoch mit echter Freude ansahen.
»Du bist hier immer willkommen.« Daeron gab den Dienern ein Zeichen, die sich sogleich daranmachten, ihr Gepäck auszuladen, und schob sie sanft weiter über den weiß gepflasterten Schlosshof, vorbei an dem aus Kalkstein entstandenen Springbrunnen, in dessen Mitte ein aufbäumendes Einhorn thronte. »Wie könnte ich dich der Einsamkeit draußen im Wald aussetzen?«
»Ich bin gerne nur für mich.«
Daeron lächelte nachdenklich, beinahe verträumt. Ein seltener Anblick. Wer ihn so sah, würde sich nicht vorstellen können, welch ein Monster sich in ihm verbarg und stets darum kämpfte, an die Oberfläche zu gelangen. »Das verstehe ich«, sagte er nach kurzem Schweigen und führte sie schließlich die Treppen hinauf in die lichtdurchfluteten Hallen mit den bodentiefen Bogenfenstern. »Von Zeit zu Zeit bin ich des Trubels hier im Schloss auch überdrüssig.«
»Und was macht Ihr, um dem zu entgehen?«
»Arbeiten, experimentieren.«
Vinae schluckte die spitze Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Seine Arbeit war die Erstellung von Giften, das Verbreiten des Todes. Da konnte er sie mit noch so honigsüßem Lächeln ansehen – sie würde es niemals vergessen.
»Ich würde den Ort gerne einmal sehen, an welchem Ihr Eure Ruhe findet.« Sie hätte sich auf die Zunge beißen können – das war wohl etwas zu viel des Guten gewesen, um hinter die Geheimnisse seiner Giftkämmerchen zu kommen. Zumal er sehr wohl wusste, dass sie manche davon bereits kannte,wenn auch nicht durch ihn. Seine Anspielung auf die gestohlenen Gegengifte an diesem Morgen war mehr als deutlich gewesen, und das langsame Nicken mit diesem leichten, wissenden Lächeln bewies, dass er soeben dasselbe dachte.
»Ich werde ihn dir gerne zeigen – beizeiten.« Daeron sah auf sie mit einem Ausdruck herab, der klarstellte, dass sie mit ihren Worten tatsächlich den Bogen überspannt hatte. Doch sie musste in die Verliese vordringen. Unter dem Schloss herrschte ein weitreichendes Tunnelsystem, eine eigene unterirdische Welt, groß genug, um das gesamte Volk der Drachenelfen dort zu verstecken. Bisher hatte Vinae nur einen winzigen Teil davon gesehen.
»Das würde mich sehr freuen.« Vinae ging etwas schneller, um der Berührung von Daerons Hand auf ihrem Rücken zu entgehen. Plötzlich blieb er stehen. »Vinae«, sagte er, woraufhin sie ebenfalls stehen blieb, kurz die Augen schloss, tief durchatmete und sich langsam zu ihm umdrehte. Die Diener gingen an ihnen vorüber, sie schienen zu wissen, wohin sie mussten. Daeron beachtete sie auch nicht weiter.
»Ich weiß«, begann er in eindringlichem Ton. »Wir sind nicht immer einer Meinung gewesen. In der Vergangenheit ...« Er zog sie etwas zur Seite, auf eines der Bogenfenster zu. »In der Vergangenheit ist böses Blut zwischen uns geflossen.« Vinae senkte unwillkürlich den Blick und sah auf die Wunden an ihren Handgelenken. Daeron ergriff ihre Hand und hob sie an seine Brust. »Es fällt uns schwer, den anderen zu verstehen«, fuhr er fort. »Aber wir können es lernen. Die Zukunft ...« Er strich mit dem Daumen über ihren Handrücken, und Vinae musste sich zusammenreißen, um sie nicht wegzuziehen, »wird anders werden. Ich habe Pläne, Visionen. Von uns, Vinae.«
»Fürst Daeron.« Mit sanfter Kraft
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