Elfenkrieg
neben ihm auf. »Ich will offen sprechen. Jemand ist neu im Schloss, und ich will wissen, wer das ist. Gibt es ein neues Küchenmädchen? Vielleicht jemanden namens Enra?«
Nun blickte der Wächter doch noch auf. Ein Küchenmädchen? Enra? Was hatte das alles zu bedeuten? »Enra ist die Küchenmeisterin«, erklärte er, wenn er sich auch nicht wohl dabei fühlte, mit dem Gefangenen zu sprechen. »Sie ist schon seit Ewigkeiten hier und bestimmt nicht neu.«
Der Gefangene nickte langsam. »Und wer ist vor ein paar Tagen hier angekommen?«
»Das ist für Euch nicht von Belang.« Der Wächter widmetesich dem nächsten Kristall, doch der Gefangene kam ihm an der anderen Seite der Gitterstäbe so nahe, dass es ihm immer schwerer fiel, das Zittern der Hände unter Kontrolle zu halten.
»Ihr scheint zu vergessen, dass ich etwas besitze, das für Euch von größter Wichtigkeit ist«, sagte der Gefangene mit so düsterer Stimme, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
»Was sollte das sein?«, fragte der Wächter, bemüht gleichgültig.
»Euer Leben.«
Ein überraschtes Luftholen konnte der Wächter nicht mehr unterdrücken.
»Ich weiß«, fuhr der Gefangene in unheimlicher Ruhe fort. »Ihr wiegt Euch auf der anderen Seite dieser magischen Barrieren in Sicherheit. Aber uns ist beiden bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem ich frei sein werde. Gebt mir diese kleine Information, und ich werde es Euch mit Eurem Leben danken. Wenn es so weit ist.«
Der Wächter wandte sich dem Gefangenen widerwillig zu und blickte in die goldenen Augen. Es hatte keinen Sinn, vorzugeben, dass er glaubte, der Gefangene würde ewig eingesperrt bleiben. Die Angst vor dem Tag seiner Flucht begleitete ihn bei jedem seiner Besuche hier unten.
»Nun? Nehmt Ihr mein Angebot an?«
»Wie kommt Ihr auf Enra?«, fragte der Wächter, ohne auf die Worte des Gefangenen einzugehen. »Wie kommt Ihr hier unten an diesen Namen?«
»Die Ratten haben ihn mir geflüstert.« Das unheimliche Lächeln wurde unter dem leisen Schein der Kristalle verzerrt.
»Die Fürsten haben nicht gerne Fremde in ihrer Nähe«, erklärte der Wächter, auch wenn ihm eine leise Stimme sagte, dass er einen Fehler beging. »Es kommt niemand Neues ins Schloss.«
»Und doch ist eine unbekannte Seele hier. Eine junge Frau, wenn ich mich nicht irre.«
»Die Einzige, die in letzter Zeit ins Schloss gezogen ist, ist nicht wirklich neu.« Sollte er es dem Gefangenen wirklich verraten? Was sollte dieser mit solch einer harmlosen Information schon anstellen? War sein eigenes Leben nicht weit mehr wert? Mit Sicherheit. »Die junge Thesalis ist auf Fürst Daerons Wunsch hin ins Schloss gekommen«, sagte er schließlich. »Vinae Thesalis.«
»Vinae Thesalis.« Der Gefangene sah ihn völlig ausdruckslos an, als würde er direkt durch ihn hindurchsehen, und doch war einen flüchtigen Moment irgendetwas in den goldenen Augen aufgeblitzt.
»Sagt, mein Freund. Wie sieht diese Vinae Thesalis aus?«
Der Wächter gab ihm eine Beschreibung der angehenden Magierin. Er konnte zwar nicht nachvollziehen, wieso sich der Gefangene dermaßen für diese interessierte, doch es kümmerte ihn auch nicht weiter. Er hatte die Garantie, dass sein Leben geschützt wurde.
Ein klein wenig spürte Vinae die scharfen Krallen des Falken durch den Handschuh, doch es war ein geringer Preis für die Betrachtung dieses wundervollen Tieres. »Sie ist einfach umwerfend«, flüsterte sie ehrfürchtig, während sie mit der freien Hand in sanften Bewegungen über das schneeweiße Federkleid strich. »Was für ein Glück, dass sie zu Euch gekommen ist, Meister Sril.«
Dem Falkner stand der Stolz in den Augen. »Sie ist in der Tat prächtig«, bestätigte er. »Ein seltenes Exemplar. Ich wusste, dass Ihr alle es würdet sehen wollen, Herrin Thesalis.«
»Damit lagt Ihr richtig. Ich danke Euch.« Vinae sah an dem Elfen mit dem Federhut vorbei zum Falknerhof, wo auf einer Stange noch zwei weitere dieser edlen Tiere saßen. Es war bereits zu lange her, seit sie zuletzt hier gewesen war. Als Kind hatte sie ihre Zeit gerne bei Meister Sril verbracht. Jedes seiner Worte hatte sie bewundernd aufgesogen, als er ihr den richtigen Umgang erklärt und ihr einiges über die Fütterung und Pflege beigebracht hatte. »Werdet Ihr diese Dame denn behalten?«, fragte sie und streichelte den Falken auf ihrer Faust erneut.
»Ich weiß noch nicht.« Er lächelte etwas wehmütig. »Ich hörte, der Fürst von Riniel hat Interesse
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