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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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stumm um Geduld, um die immer gleiche Litanei über sich ergehen zu lassen.
    Die Schreibstube lag im obersten Stockwerk des Turms, der sich an das Hauptgebäude des Refugiums anlehnte. Nur der schmucklose Tempelturm war höher. An jeder Seite der Schreibstube gab es drei große Fenster. So herrschte zu jeder Tageszeit gutes Licht, wenn der Himmel sich denn erbarmte und die Sonne nicht hinter grauen Wolkenschleiern verborgen war. Es war ein guter Ort zum Arbeiten, vielleicht die schönste Kammer im ganzen Refugium. Guido war sich darüber im Klaren, wie viele seiner Ordensbrüder ihn darum beneideten, dass er hier sein Tagwerk verrichtete.
    Der Miniaturenmaler stützte sich auf das Sims des Fensters auf. Der honigfarbene Stein war warm vom Licht der Abendsonne. Die Stunde der Dämmerung war angebrochen. In der Ferne erhoben sich in den tieferen Tälern schon die Schatten der Nacht, während sich der Himmel im Westen noch mit zartem, blassblauem Licht schmückte. Ihr Refugium lag auf einer Felsnase, die weit aus dem steilen Südhang des Mons Gabino ragte. Es war nicht sehr groß. Gerade einmal einunddreißig Ordensbrüder fanden hier ihr Auskommen. In vielen Jahren mühsamer Arbeit hatten sie Terrassen in den Fels geschlagen, und die Erde, in denen ihre weit über das Königreich Angnos hinaus berühmten Rebstöcke wurzelten, war Korb für Korb von Maultieren hier hinaufgeschafft worden. Gottesblut nannten die Heiden ehrfürchtig den Wein, der von den goldenen Hängen des Mons Gabino stammte. Und Guido wusste, dass sich sein Abt durchaus auch der Sünde der Eitelkeit schuldig machte, wenn es um den Wein ging.
    Lucien deutete mit einer weit ausholenden Bewegung den Hang hinab. Auf den Treppen, die aus dem Fels geschlagen waren, konnte man blau gewandete Ordensbrüder mit breitkrempigen Strohhüten sehen, die dem Refugium entgegeneilten.
    »Sieh dir unsere Weggefährten auf dem Pfad zu Tjured an.« Lucien war in den pathetischen Ton verfallen, den er bei seinen Predigten so gerne anschlug. Guido war oft sehr ergriffen, wenn er dem Abt bei ihren morgendlichen Zusammenkünften im Rundtempel lauschte. Doch es war etwas ganz anderes, wenn man so einer Predigt allein zuhören musste und dabei noch derjenige war, um den sich alles drehte.
    »Sieh unsere Brüder, wie sie zu uns streben, gebeugt von einem Tag voller Mühsal in Staub und Hitze. Hast du einmal ihre Hände betrachtet, Guido? Zerschunden sind sie von der harten Arbeit am Weinberg. Und wenn ihre Hände bluten, dann legen sie einen feuchten Lappen darum und machen weiter. Und welches Lob erhalten sie? Und welchen Lohn? Ein Teller mit einem einfachen Mahl und ein Becher mit verdünntem Wein, das ist ihr Gewinn nach einem solchen Tag. Und klagen sie deshalb? Nein! Sie sind zufrieden mit dem Leben, wie Tjured es ihnen geschenkt hat.«
    Guido dachte daran, wie oft er schon mit hinaus auf den Weinberg gegangen war, wenn jede Hand benötigt wurde. Stets rief man ihn oder Bruder Martin, wenn es eine Arbeit zu erledigen gab, die besondere Kraft erforderte. Er dachte auch an die vielen Nachstunden, die er im Kerzenlicht an seinem Stehpult verbrachte, wenn die anderen unten im Speisesaal saßen und sich von Lucien aus dem Leben der Heiligen vorlesen ließen.
    »Ich sehe dir an, wie du dich vor meinen Worten verschließt, Bruder.« Der Abt lächelte, und ein Netzwerk tiefer Falten umgab sein grünes Auge. »Nur weil du die blaue Kutte der Tjuredpriester trägst, bist du kein besserer Mensch. Und auch nicht, weil du Miniaturen malen kannst, die so wunderschön sind, dass einem das Herz aufgeht, wenn man sie betrachtet, oder die einem Schauder der Furcht über den Rücken jagen, wenn es Bildnisse der grausamen Elfen sind. Was dir fehlt, ist die Gelegenheit, Zwiesprache mit Gott zu führen. So wirst du auch wieder zur Ehrfurcht vor den einfachen Dingen des Lebens finden, und du wirst ...« Lucien hielt inne und spähte aus dem Fenster. Auf dem Weg vom Pinienwald kam eine hochgewachsene Gestalt, die von einigen Ordensbrüdern umringt wurde. Andere schwenkten ihre Strohhüte ausgelassen zum Gruß, als sie den Fremden sahen.
    Lucien murrte unwillig, kniff die Lider zusammen, spähte angestrengt in Richtung der Menschentraube, die sich um den Wanderer gebildet hatte, und murrte wieder. »Mein Auge ist so trüb wie unser Fischteich, wenn ihn im Herbst der Frost geküsst hat. Was geht da vor sich? Ist er es?«
    Der Fremde war noch zu weit entfernt, um sein Gesicht erkennen zu können. Er

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