Elfenlicht
Manchmal scheint es so, als seien bestimmte Ereignisse unabwendbar.« Sie senkte den Blick, denn sie wollte nicht, dass er in ihren Augen lesen konnte, als sie weitersprach. »Wir werden verlieren, was wir lieben. Das ist der Preis. So war es schon immer.«
Einen langen Augenblick schwiegen sie beide. Dann sah sie auf und lächelte plötzlich. »Heute Nacht haben wir den Weg in eine neue, unbekannte Zukunft beschritten. Sie ist dunkel ... Aber wenn man die Hoffnung nicht aufgibt, dann ist alles möglich!« Ihr Lächeln war so plötzlich verflogen, wie es gekommen war. Es war ein seltener Gast in ihrem Antlitz, und doch hatte es schon unzählige Barden aus allen Völkern der Albenkinder zu Liedern über sie ermutigt. Wenn Emerelle lächelte, dann lag ihr die Welt zu Füßen. In diesen seltenen Augenblicken entfaltete sich ihre ganze Schönheit. Nichts, das Ollowain je gesehen hatte, war so vollkommen. Außer Lyndwyns Augen ... dachte er traurig. Zuletzt hatte er nur noch in ihre Augen gesehen. Sonst hätte er nicht ertragen können, was die Trolle ihr angetan hatten. Er wusste, sie wartete auf ihn.
»Weißt du um meinen Tod, Herrin?«
»Ich weiß um viele deiner möglichen Lebenswege«, entgegnete die Königin ausweichend.
»Und mein Tod?«, beharrte er.
»Willst du das wirklich wissen? Deine Frage ist nicht weise. Dein Tod hängt von dem Weg ab, den du wählst. Ich habe dich oft sterben gesehen.«
»Und wie kann ich mich schützen?«, setzte er nach und meinte doch das Gegenteil.
Sie lächelte traurig. »Gar nicht, Schwertmeister. Zu leben ist auf jeden Fall tödlich. Meide das Feuer, Ollowain. Du wirst in den Flammen sterben, so war es schon immer.«
Endlich gelang es ihm, ihren Blick einzufangen. »Du kennst den Weg meiner Seele? Meine vergangenen Leben? Wer war ich?«
»Sich nicht zu erinnern, ist ein Geschenk, Ollowain. Rühre nicht an dieser Gunst, die dir das Schicksal gewährt. Jede Wiedergeburt hat deine Seele geläutert. Du bist ohne Fehl. Vollkommen. Ich ...« Sie schüttelte sanft den Kopf. »Lassen wir die Vergangenheit ruhen. Warum Wunden, die verheilt sind, wieder aufreißen? Vertraue mir. Zu vergessen ist ein Geschenk. Nur so wird man wirklich in ein neues Leben geboren, wenn man wiederkehrt. Jenen, die geblieben sind, steht es nicht zu, selbstsüchtig an dieser Gnade zu rühren, mein Schwertmeister.« Sie schenkte ihm ein schmerzliches Lächeln. »Nun lass mich bitte allein. Es ist meine Pflicht, von neuem mit der Suche nach unserer Zukunft zu beginnen. Wir ...« Sie hielt inne und senkte den Blick.
»Ja?«
»Ich habe dir nie dafür gedankt, wie du mich aus dem brennenden Vahan Calyd gerettet hast. Du warst mein Schwert und mein Schild, als ich mich nicht zu schützen vermochte. Männer wie du sind selten, Ollowain. Danke, dass du an meiner Seite stehst. Du bist das Licht in meinen dunkelsten Stunden.«
Ihre Worte machten ihn verlegen. Er verbeugte sich knapp und zog sich zurück. Doch noch bevor er die hohe Flügeltür zum Thronsaal erreichte, schlichen sich Zweifel in seine Gedanken. Seit seiner Kindheit hatte er sich kaum mehr Gedanken darüber gemacht, wer er einst gewesen sein mochte. Hatte die Königin all dies nur gesagt, um ihn davon abzulenken, was sie getan hatte?
Am Tor blickte er zurück. Der Thronsaal war nun lichtdurchflutet. Emerelle stand ganz in sich gekehrt vor der Silberschale. Den Schatten haftete nichts Bedrohliches mehr an. Nur die beiden toten Nachtigallen auf der Armlehne des Throns erinnerten daran, dass etwas nach Albenmark gekommen war, das selbst die Königin fürchtete.
BRUDER JULES
Bruder Guido fügte der Miniatur einen letzten Pinselstrich hinzu und vertiefte den Schatten im Faltenwurf des Gewandes. Zufrieden betrachtete er das Bild des heiligen Guillaume. Es zeigte den Märtyrer unmittelbar vor seinem Tod, als er von den Elfen an die Eiche gebunden wurde.
»Deine Elfen sehen wirklich zum Fürchten aus.« Eine leichte Hand legte sich auf seine Schulter. »Wenn man deine Bilder betrachtet, könnte man meinen, du seiest Augenzeuge gewesen an jenem schrecklichen Tag. Sie erscheinen wie ein Abbild der Wahrheit. Das ist eine große Gabe.«
Guido spielte nachdenklich mit seinem Knebelbart. »Ich weiß nicht, Bruder Abt. Die spitzen Ohren, die ihnen wie Hörner durch das lange Haar lugen, die bleichen Gesichter, die an Tote erinnern, und die großen dunklen Augen ... Das ist ja gut und schön. Aber jeder malt sie so. Ich möchte ihnen noch etwas Dämonisches
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