Elfenlicht
schwerer wog es, wenn man einander nichts mehr zu sagen hatte. Das galt als tragischer, so dachten die meisten. Aber bei Shandral war das anders, das spürte Melvyn. Der Fürst von Arkadien würde seinem Weib niemals gestatten, ein kleines Abenteuer zu erleben.
Auch wenn Leylin es sich vielleicht nicht eingestehen mochte, sehnte sie jedoch nichts so sehr herbei, wie der Tyrannei ihres Gatten zu entfliehen, und sei es nur für einige Augenblicke.
Melvyn blickte über das Meer der Dächer. Sein Freund Wolkentaucher hatte den Ort gut gewählt. Er verlor nie den Überblick, auch nicht in dem labyrinthischen Häusermeer. Das lag wohl am Blickwinkel. Die beiden Himmelssteige waren auf dem breiten Steingeländer des Balkons abgestellt. Sie sahen aus wie Hämmer, die man auf den Kopf gestellt hatte und aus deren drei Schritt langen Stielen große Rundhaken ragten.
Melvyn war ein Windsänger, und so genügte ein Gedanke von ihm, um seine großen Adler herbeizurufen. Die Himmelssteige würden es den Vögeln erlauben, ihn und Leylin aus dem Flug heraus von hier fortzutragen.
Es war eine der wenigen schwülen Nächte hier im Norden, so nah bei der Snaiwamark. Sie war wie geschaffen für seine Pläne mit Leylin. Doch nun, da alles bereit war, packten ihn Zweifel. Sein Raubzug in dieser Nacht war selbst für seine Verhältnisse besonders dreist. Er wagte viel. War eine Laune das wert? Nachdenklich betrachtete er die Tür zum Schlafgemach des Fürsten. Sie stand weit offen, um auch den leisesten Lufthauch einzufangen. Sanft bewegten sich die safranfarbenen Seidenvorhänge im Wind. Wie eingefangenes Sommerlicht strahlten sie in der Dunkelheit.
Kein Laut drang durch die offene Tür. Niemand hatte ihn bemerkt. Noch könnte er zurück, dachte Melvyn. Er stützte sich auf die Brüstung des Balkons. Sein Blick wanderte über die dunkle Stadt. Gleich Klippen ragten die steilen Dächer dem Himmel entgegen. Feylanviek war wie so viele Städte des Nordens überwiegend von Kobolden gebaut worden. Auch wenn die adeligen Elfen aus der Snaiwamark und Carandamons hier ihre Sommerresidenzen unterhielten, so waren die Häuser in der Mehrheit doch einfache Fachwerkbauten. Ihre Giebel ragten steil dem Himmel entgegen, damit in den langen Wintern der Schnee besser abrutschte und seine Last nicht die Dächer erdrückte. Die Wände der verwinkelten Häuser waren in den grellsten Sommerfarben gehalten und wurden durch schwarze oder dunkelbraune Balken in geometrische Muster untergliedert. Die Tatsache, dass Volk aus aller Herren Länder kam, um die Werkstätten der Kobolde zu besuchen, hatte zu einem merkwürdigen Baustil geführt. Jedes Haus hatte mindestens eine Halle, die hoch genug war, dass dort selbst Minotauren und Trolle einkehren konnten, ohne sich die Köpfe an den Deckenbalken zu stoßen. Für die Elfen, die in der Regel die bedeutendsten Auftraggeber der Werkstätten waren, gab es meist mehrere Räume, in denen man über Geschäfte verhandeln oder kleine Bankette abhalten konnte. Die Häuser der größten Koboldsippen unterhielten sogar eigene Gästeflügel, wo Reisende für Wochen untergebracht wurden.
Feylanviek lag in einem ehemaligen Feuchtgebiet. Längst waren die Sümpfe trockengelegt, und hunderte Kanäle durchzogen nun die Stadt und das Umland. Sie leiteten das Wasser in den behäbig fließenden Mika ab, den großen Strom, der die Stadt mit dem Meer verband, obwohl sie fast vierhundert Meilen von der nächsten Küste entfernt lag. Feylanviek war damit der Schnittpunkt der bedeutendsten Handelswege des Nordens. Die Stadt war riesig, und da die Trolle für Jahrhunderte aus Albenmark vertrieben gewesen waren, hatte sie keine schlimmeren Feinde als ein paar randalierende Viehtreiber aus den Kentaurenstämmen des Windlands zu fürchten gehabt. Es gab hier keine nennenswerten Verteidigungsanlagen, nur mehrere befestigte Zolltürme. Seit die Trolle damit begonnen hatten, südlich des Mordsteins ihre Truppen zusammenzuziehen, war vorhersehbar, dass Feylanviek ihr erstes Angriffsziel sein würde.
Sie brauchten das Fleisch, das sie hier bekommen würden, um ihre Krieger bei Laune zu halten und tiefer ins Windland vorzustoßen.
Melvyn hatte seine Zweifel, ob das Bündnis in der Lage war, die Trolle aufzuhalten. Er hatte ihr Heer im Süden der Snaiwamark gesehen. Ihre Krieger waren so zahlreich wie die Büffel in den Grasmeeren des Windlands. Die Truppen, die Elodrin von Alvemer unter seinem Kommando versammelt hatte, waren ein
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