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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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sehen. Offensichtlich war sie genauso vertrauensselig wie die Tote. Der Anblick des Hundes aus fahlem Licht schreckte sie nicht. Sie kannte ihn nicht, hatte nie von einem Feind in solcher Gestalt gehört. Und sie war eines der Kinder Eleborns. Nichts in den Meeren der Welt würde ihr etwas zuleide tun. Furcht war ihr unbekannt.
    Sie robbte aus dem Wasser den Felsen hinauf. Ihre Haut zerteilte sich.
    Der Schatten hatte den Körper des Shi-Handan völlig unter seine Kontrolle gebracht. Er ging zu der Selkie, als sie aus der Seehundhaut stieg. Auch sie hatte meergrüne Augen wie ihre Schwester. Ihr Haar jedoch hatte die Farbe von reifem Korn.
    Die junge Maid blickte lächelnd zu ihnen auf, während sie die Tierhaut von den zierlichen Füßen streifte. Sie fragte etwas. In dem Augenblick schossen die Kiefer der Bestie vor. Sebastien war selbst völlig überrascht, als er fühlte, wie sich Fänge in weiches Fleisch gruben. Sie hatten feste Gestalt angenommen, zumindest teilweise! Warmes Blut rann durch ihre Kehle. Die Selkie schrie auf.
    Mit einem lässigen Schütteln riss der Shi-Handan ihr ein großes Stück Fleisch aus der Kehle. Sie stürzte zurück auf den schwarzen Felsen. Blut spritzte im Rhythmus ihres langsam ersterbenden Herzens aus der tödlichen Wunde.
    Sebastien wollte die Augen schließen. Doch nicht einmal darüber hatte er noch Gewalt. Der Schatten beherrschte ihren gemeinsamen Körper. Und Sebastien hatte Teil an dem schaurigen Mahl, ob er wollte oder nicht.
    Der Shi-Handan riss Fleischbrocken aus den Schenkeln der Sterbenden. Zuletzt beraubte er sie des verblassenden Lebensfunkens. Dann zog sich der Schatten zurück. Er überließ dem Abt wieder die Kontrolle über ihren gemeinsamen Leib und die Sorge um den Aufruhr der Brüder und Schwestern, die mit ihm in dieser gotteslästerlichen Bestie gefangen waren.
    Die Höhle stank nach frisch vergossenem Blut.
    Ihr gemeinsamer Leib hatte seine Körperlichkeit wieder verloren. Sebastien flüchtete ins schwarze Wasser. Er wollte hinab in die dunkelsten Tiefen der See, wo er für immer ihre Schande vor dem Blick Gottes verstecken konnte.

EIN NEUER WIND

    Ollowain breitete die Karten aus und beschwerte die Kanten mit einigen Figuren vom Falrach-Tisch, der dicht neben dem Feldbett stand. Er hatte Elodrins Zelt übernommen, der vor ihm das Kommando geführt hatte. Der weißhaarige Fürst von Alvemer stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Kartentisch. Er war ein harter Mann. Seine Miene verriet nichts über seine Stimmung. Er hatte sich die Elfe Yilvina zur Befehlshaberin seiner Leibwache gewählt. Yilvina, die Ollowain einst bei der Flucht aus dem brennenden Vahan Calyd begleitet hatte und die selbst im Fjordland noch der Schild der schwer verletzten Königin gewesen war. Sie trug das blonde Haar kurz geschnitten. Über dem Kettenhemd aus Silberstahl kreuzten sich die Gurte der beiden Schwerter, die sie auf dem Rücken trug. Vor langer Zeit einmal war sie Ollowains Schülerin gewesen. Niemand konnte es ihr im Kampf mit zwei Schwertern gleichtun. Sie war eine Meisterin des Todes.
    Zu Elodrins Linker stand Nardinel. Die begabtesten Dichter hatten ihre Schönheit besungen. Fürsten hatten um ihre Hand gefreit, und doch hatte sie sich niemals gebunden. Nardinel, die Unberührte. Nardinel, die Heilerin. Nardinel, der Trost der Sterbenden. Die Namen, die man ihr gegeben hatte, waren ohne Zahl. Sie war von zarter, durchscheinender Schönheit und wirkte inmitten des Zeltes voller Krieger fehl am Platz. Begehrliche Blicke streiften sie. Sie zu sehen, hieß der Sehnsucht zu begegnen. Ihr Haar war die Nacht, ihr sanftes Antlitz das Morgenlicht. Ollowain konnte nicht begreifen, was diese beiden Frauen mit Elodrin verband. Hatte ein Befehl sie an seine Seite geführt? Und für wen würden sie sich entscheiden, wenn Elodrin Schwierigkeiten machte? Der Schwertmeister wusste, dass er es nicht leicht mit dem Seefürsten haben würde. Elodrin würde sich hier, inmitten der Befehlshaber ihres Heeres, keine Blöße geben. Aber in seinem Herzen würde er Ollowain nicht vergeben, das Kommando übernommen zu haben.
    Der Schwertmeister ließ den Blick in der Runde wandern. Fast ein Dutzend Elfenfürsten standen versammelt; fünf Kentauren und auch Ajax, der Fürst der Minotauren in den Mondbergen, waren gekommen. Mit den meisten der Befehlshaber hatte Ollowain schon gemeinsam Schlachten geschlagen. Orimedes, der Erste unter den Kentaurenfürsten des Windlands, nickte ihm

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