Elfenlicht
wärst wohl auch schwer umzubringen. Und stur bist du wie ein alter Steinbock. Der Jäger hatte seine Meinung über ihn und Halgard nie geändert. Ulric kannte auch die neueren Geschichten, die über sie beide im Umlauf waren. Er konnte das aushalten, aber Halgard traute sich kaum noch aus ihrer Kammer. Den ganzen Tag war sie mit der Spindel zugange oder saß an ihrem Webrahmen. Es gab nur eine Hand voll junge Frauen, die sie um sich duldete, Sklavinnen aus dem Süden. Manchmal sprach sie auch mit Gundaher, dem Baumeister. Aber sonst duldete sie niemanden in ihrer Nähe.
So sehr hatten sie beide versucht, ein Kind zu bekommen. Einen Stammhalter, der eines Tages die Königswürde erben konnte. Doch die Sippe Mandreds würde wohl mit ihm und Halgard verlöschen. Und viel Zeit blieb nicht mehr. Luth hatte ihm und Halgard nur einen kurzen Lebensfaden gesponnen. Sie beide wussten das. Vielleicht war es besser, unter diesen Umständen kein Waisenkind zurückzulassen.
Wenn er daran dachte, wie die Leute mit ihrem Tratsch die Wirklichkeit so lange verdreht hatten, dass selbst Halgard nicht mehr wusste, was sie noch glauben sollte, dann packte ihn die kalte Wut. Es sei kein Wunder, dass sie beide kein Kind bekämen, so hieß es. Wer hätte je davon gehört, dass etwas Totes etwas Lebendiges gebären könnte.
Es war einfach nur Pech! Es war das Schicksal, das Luth ihnen bestimmt hatte. Es gab auch andere Paare, die keine Kinder zeugten. Sein Vater Alfadas und Silwyna hatten auch kein Kind mehr bekommen – soweit er wusste. Die Elfe war oft für Monde verschwunden. Vielleicht hatte sie in Albenmark noch weitere Kinder geboren. Ulric fragte sich oft, wie sein Halbbruder wohl aussah. Er wäre gern nach Albenmark gereist, aber er mochte Halgard nicht allein lassen. Sie hatte Angst, durch das goldene Tor im Steinkreis auf dem Hartungskliff zu schreiten. Silwyna hatte ihm angeboten, ihn mitzunehmen. Immer wieder. Sie hatte ihm gesagt, wie sehr sein Bruder sich freuen würde, ihn kennen zu lernen. Ulric hatte nie verstanden, warum Melvyn nicht einfach mit seiner Mutter ins Fjordland kam. Er schien wohl recht stolz zu sein. Oder besser gesagt, dickköpfig. Er war der Auffassung, seine Familie schulde es ihm, zu ihm zu kommen. So waren sie sich nie begegnet. Aber vielleicht ... Nein, dazu würde es wohl nicht mehr kommen. Blut, der große Jagdhund seines Vaters, war sehr alt und hinfällig. Er würde den Winter nicht mehr überstehen. Und das hieß, dass auch für ihn und Halgard die Zeit gekommen war. Sie würden den Hund nicht lange überleben. Das wussten sie, seit sie Kinder waren. Seit dem Winter, als er den Fremden im blauen Umhang getroffen hatte. Er hätte seine Geschenke nicht annehmen dürfen! Sie hatten ihr Leben vergiftet. Sie waren so hübsch gewesen, die Puppen, die ihn, Halgard und Blut darstellten. Wie hätte er als Kind diesen Geschenken widerstehen sollen?
Als sei es erst gestern gewesen, erinnerte sich Ulric an diesen Abend. Es war viel Schnee gefallen. Er hatte Halgard in Svenjas Hütte gefunden. Svenja war eine Tante seiner Mutter Asla; sie war ihre Kinderfrau geworden, als Asla nicht zurückgekehrt war. Wie sehr Halgard sich über die schön geschnitzten Holzfiguren gefreut hatte, die er ihr mitgebracht hatte! Den Krieger mit dem Schwert, das aus einem alten Nagel gefertigt war, die Prinzessin mit den Haaren aus rotem Nussholz und den rußgeschwärzten Hund. Wenn man am Schwertarm der Kriegerpuppe drehte, dann öffnete sich eine kleine Klappe in ihrem Rücken. Sie hatten einen sorgsam aufgewickelten roten Faden darin gefunden. Auch in den beiden anderen Figuren waren solche Fäden versteckt gewesen. Halgard hatte sofort gewusst, was die Fäden zu bedeuten hatten. Hätte er nur die verfluchte Hundepuppe nicht mitgenommen! Ihr Leben wäre anders verlaufen. Glücklicher.
Halgard hatte die Fäden abgewickelt und den Faden von sich und Ulric nebeneinander gelegt. Beide waren genau gleich lang! Das hieß, sie würden am selben Tag, ja vielleicht sogar in derselben Stunde sterben. Halgard war darüber nicht erschrocken gewesen. Für sie war das wie in einem Märchen. Selbst heute hatte sie ihre Einstellung nicht geändert. Sie schöpfte Frieden aus der Gewissheit, dass sie nie ein Leben ohne ihn führen würde.
Wie unschuldig sie damals gewesen waren! Sie hatten darüber gestritten, wie lange ihr Leben wohl währen würde. War ein Zoll des Fadens ein Jahr oder ein Jahrzehnt? Nach welchem Maß beschnitt Luth die
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