Elfenlicht
Schicksalsfäden? Noch heute verfluchte sich Ulric für den Einfall, den er damals gehabt hatte. Sie hatten den Faden von Blut neben ihre beiden gelegt. Beide wussten sie, dass Hunde nicht so alt wurden. Dreizehn Jahre manchmal, mit Glück auch etwas mehr. So würden sie abschätzen können, wie viel Zeit ihnen bemessen war.
Zunächst sah es aus, als sei auch Bluts Lebensfaden so lang wie ihre beiden. Immer wieder legten sie die roten Zwirnfäden nebeneinander. Selbst heute taten sie es noch manchmal. Man musste sehr genau hinsehen und die Fäden vorsichtig straff ziehen, dann sah man, dass Bluts Faden um eine Winzigkeit kürzer war als ihre Lebensfäden.
Nie hatten sie mit jemandem darüber gesprochen, dass ihnen bestimmt war, ein Leben so kurz wie ein Hundeleben zu führen. Immer wieder hatte Ulric versucht, sich selbst und Halgard einzureden, dass all das nur ein böser Scherz des Fremden gewesen war. Schließlich wusste nur Luth allein um die Länge der Schicksalsfäden. Halgard hatte davon nichts hören wollen. Sie glaubte dem Fremden. Und tief in seinem Herzen wusste Ulric, dass sie Recht damit hatte. Der Mann war unheimlich gewesen. Niemand außer ihm hatte ihn zu Gesicht bekommen. Er war aus der Winternacht getreten, als sei er ein Bote des Schicksalswebers. Und er war wieder verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Niemand kannte diesen Jules. Längst hatten sie aufgegeben, nach ihm zu suchen.
Er war nicht viel älter als zehn Jahre gewesen, da hatte Ulric beschlossen, sein Verhängnis zu seinem Vorteil zu deuten. So lange der Hund lebte, konnte ihm nichts passieren! Damals war er selbstmörderisch tollkühn gewesen. Er war weiter in den Fjord hinausgeschwommen als jeder andere Junge, hatte seinem Fechtmeister graue Haare wachsen lassen und keinen dummen Streich ausgelassen. Bis er vom Dach der Königshalle gestürzt war und sich übel das Bein gebrochen hatte. Sein Vater hatte Heiler von überallher kommen lassen, doch keiner hatte ihm zu helfen vermocht. Die Wunde war brandig geworden, und er hätte sein Bein wohl verloren, wenn Silwyna nicht gewesen wäre. Sie hatte eine Elfe vom Hof der Königin Emerelle gebracht, die ihn gerettet hatte. In den vielen Wochen, die er damals an sein Bett gefesselt gewesen war, hatte er sein Leben schätzen gelernt. Keinen Tag wolle er vergeuden, hatte er sich damals geschworen. Jetzt ging die Frist zu Ende. Er hatte drei Knoten, groß wie Haselnüsse, in Bluts Leiste ertastet. Wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass der große Hund zu hinken begann. Er war immer noch erschreckend. Aber sein Faden war fast zu Ende gesponnen. Und damit neigte sich auch ihre Spanne dem Ende entgegen. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal mehr den Winter erleben.
Hundegebell schreckte ihn aus seinen Gedanken. Sie hatten ein gutes Stück Weg zurückgelegt und waren in ein enges Tal gelangt. Einige wenige windschiefe Kiefern klammerten sich an den steinigen Boden. Die Hunde standen bei einem flachen Felsen. Große Rostflecken sprenkelten seine Oberfläche; an den Seiten liefen einige rostige Adern hinab.
Ulric gesellte sich zu den Jägern. Niemand sagte etwas. Man musste kein Fährtenleser sein, um zu wissen, was diese Flecken bedeuteten. Hier hatte der Troll seine Beute zerlegt.
»Wir sollten umkehren«, sagte Eirik leise. »Ich schätze, ihr Lager ist ganz in der Nähe. Wir wissen nicht, wie viele es sind. Hier haben sie ihr Fleisch für das Feuer bereitet.«
»Wir werden nicht ohne Björn und Kadlin heimkehren«, sagte Ulric entschieden.
Der Anführer der Jäger rollte mit den Augen und schnitt eine Grimasse, als habe er es mit einem Idioten zu tun. »Bei allem Respekt, Ulric Alfadasson.«
So redete er ihn immer an, wenn er am liebsten gesagt hätte: Pfusch mir nicht ins Handwerk, eingebildeter Trottel!, dachte Ulric.
»Unsere Jagdgruppe ist nicht stark genug, um es mit einem Rudel Trolle aufzunehmen. Wenn ich glaubte, dass es einen Sinn hätte, dann würde ich mich auf diese Gefahr einlassen. Ich denke, niemand hier würde mich einen Feigling nennen.«
Eirik blickte kurz auf, um sich zu vergewissern, dass keiner es wagte, ihm zu widersprechen. »Die beiden sind seit drei Tagen überfällig. Ich war unten am Fjord, nachdem dein Vater die Trolle vertrieben hatte. Ich habe ihr Lager gesehen. Und das, was sie mit ihren Gefangenen gemacht haben. Niemand will das sehen! Es verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Sie werden Kadlin und Björn geschlachtet haben.
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