Elfenlicht
Festung. Sie hatten Feuerschalen aufgestellt und an manchen Stellen sogar Feuer mitten in den Gängen entfacht. Dort wurde alles verbrannt, was ihnen in die Hände fiel. Stinkende Felle, die plumpen Möbel, die Dauben zerschlagener Fässer, Lumpen.
Ziellos wanderte Kadlin umher. Einmal suchte sie Wasser für einen Verwundeten. Ein anderes Mal setzte sie sich an das Lager eines Bewusstlosen und hielt ihm die Hand. Stundenlang. Bis dessen Finger kalt und steif wurden. Sie wusste nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war, als das Jaulen des Windes nachließ, der sich in den Pfeilern und Stützstreben des Turmes verfing.
Sie verspürte keinen Hunger und keinen Durst. Ihr Gefühl für Zeit war ihr abhanden gekommen.
Einmal, als sie in einen besonders großen Saal gelangte, sah sie von Ferne den König. Er war umringt von seinen Hauptleuten und einigen Elfen. Er stand bei einem riesigen Lehnstuhl. Daneben sah Alfadas wie ein Kind aus. Alle sahen sie im Schatten dieses Stuhls wie Kinder aus! Böse Kinder, die einen üblen Streich gespielt hatten und nun überlegten, wie sie ihrer Bestrafung entgehen konnten.
Wären sie nur niemals hierher gekommen! Kadlin war so müde, dass sie nicht einmal mehr zornig sein konnte. Wieder begann sie ihre rastlose Wanderschaft zwischen den Toten, den Sterbenden und den für ihr Leben Gezeichneten. Sie verlor sich in hohen Tunneln, in denen es nach altem Bratenfett und Fäkalien stank.
In einer Nische, unter einem der leuchtenden Steine kauernd, fand sie Gundaher. Der Baumeister des Königs hockte mit angezogenen Beinen und umklammerte ein riesiges Buch. »Träumst du auch schlecht?«, fragte er sie unvermittelt.
Sie unterbrach ihre Wanderschaft, die ohnehin kein Ziel hatte. »Ich träume nicht. Seit der Schlacht habe ich noch nicht geschlafen.«
»Spürst du das Böse? Es ist tief in die Steine eingedrungen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Und wenn wir das Böse sind?« Kadlin hatte eine Kammer voller Trollweiber und -kinder gesehen. Sie waren groß und unförmig. Unheimliche Gestalten. Offensichtlich hatte man sie gezwungen, sich auf den Boden zu kauern. Überall waren bewaffnete Elfen. Mit gezogenen Schwertern schritten sie zwischen den Gefangenen auf und ab.
Der Baumeister strich sich nachdenklich über den Kinnbart. »Vor langer Zeit war ich ein Priester, und man hat mich gelehrt, die Elfen seien die Sendboten der Finsternis. Dann begegnete ich einem Priester, der schlimmer war als alle Geschichten, die ich jemals über die Elfen hörte.« Er sah sie forschend an.
Kadlin wusste, wovon er sprach. Sie kannte die schrecklichen Bilder aus dem Buch, das er ihr anvertraut hatte. Die unsägliche Qual in den Gesichtern der Sterbenden. Dieselben Qualen hatte sie hier bei jungen Kriegern gesehen, die sich verzweifelt an ihr Leben klammerten und doch wussten, dass sie ihren Wunden erliegen würden.
»Ich habe mit einem Elfenfürsten gesprochen. Ich bin schon zu lange im Fjordland. Meine Vergangenheit könnte mich einholen.« Bei diesen Worten blickte er besorgt den Flur hinab, dessen Ende sich im Dunkel verlor. »Der Elf war freundlich. Er scheint ein Fürst unter ihnen zu sein. Er trägt stets einen weißen Falken auf der Hand. Fenril oder so ähnlich heißt er.« Gundaher lächelte. »Ihre Namen verbiegen einem die Zunge. Es heißt, ihre Welt sei wunderschön. Ein Ort, an dem immer Frühling ist.«
»Führen sie dort nicht einen großen Krieg?«
»Kriegen kann man davonlaufen, Kadlin. Glaube mir, ich bin ganz gut im Davonlaufen. Ich will nicht zu den Kriegern, ich will zu den Künstlern und Gelehrten. Ich will sehen, ob sie wirklich Paläste aus Licht bauen. Und vom Winter habe ich genug. Meine alten Knochen sehnen sich nach einer Frühlings
sonne, die wärmer scheint als die im Fjordland.« Er klopfte auf das Buch. »Auch hoffe ich, jemanden zu finden, der das hier lesen kann. Ich habe es in einer Kammer ganz oben im Turm gefunden. Ich glaube, es ist das einzige Buch hier. Dass diese Menschenfresser Bücher schreiben ... Ich wüsste zu gern, was darin steht. Was sie wohl zu sagen haben?« Kadlin schloss die Augen und dachte an den Frühling in den Bergen. Der Schmerz überwältigte sie. Wohin auch immer sie gehen würde, jeder Wald, jeder Hang, jeder Gipfel würde sie an die Jagdausflüge mit ihrem Vater erinnern.
Kalf und Björn waren ihr Leben gewesen, der Mittelpunkt all ihrer Gedanken. Sie waren mit allem verknüpft, was der Erinnerung wert war. Ohne sie würde es nur noch
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