Elfenlicht
absonderlicher kleiner Geschöpfe stieg von den Wagen auf. Sie waren nicht länger als ein Finger und hatten Schmetterlingsflügel, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Sie hielten aufgerollte kleine Decken in den Händen. In gaukelndem Flug wirbelten sie umeinander und stiegen höher und höher. Dann ließen sie ihre Lasten fallen, alle zugleich. Was Kadlin zunächst für Decken gehalten hatte, entpuppte sich als Eichenblätter. Sie tanzten im Wind. Eines fiel auf die Felle auf ihrem Wagen. Neugierig betrachtete sie es. Es war mit seltsam verschlungen Zeichen bedeckt. Merkwürdig. Achtlos schnippte sie es vom Wagen und sah seinem torkelnden Flug zu, bis es zuletzt auf dem Weg landete und unter den schweren Hufen eines Ochsen verschwand.
Ein Schrei gellte durch die Dämmerung. Ruckartig setzte Kadlin sich auf. Alle Schrecken der Schlacht am engen Tal waren wieder da. Sie zitterte. Die Erinnerung an die Todesschreie tilgte jeden anderen Gedanken.
Nicht weit entfernt war ein großer, weißer Hund aus dem Wald getreten. Eine seltsame, durchscheinende Gestalt. Ein Mann mit Bocksbeinen lag vor ihm. Der Hund ... er zerrte etwas Leuchtendes aus der Brust des Gestürzten.
Gundaher drehte sich zu ihr um. »Lauf fort, Mädchen. Das sind die Hunde von Jules! Sie haben mich gefunden! Lauf!«
Kadlin schwang sich vom Wagen. Doch sie dachte nicht daran wegzulaufen. Sie war aus ihrer Welt geflohen, weil sie dort alles verloren hatte, was ihr etwas bedeutete. Hier hatte sie sich sofort wieder in einen Flüchtlingszug eingereiht. Es war genug! Sie würde kämpfen. Und wenn es Luth so gefiel, dann würde sie eben sterben! Aber weglaufen würde sie nicht mehr!
Sie zog ihr Schwert und küsste die Klinge. In ihrer Zeit bei den Jägern des Königs hatte sie eine Geschichte über einen Geisterhund gehört, der in das Langhaus des Alfadas gekommen war. Ein Luthpriester hatte das Ungeheuer getötet, indem er den Namen seines Gottes aussprach und es umarmte.
Einige Krieger hatten den Geisterhund umringt, ein Pferdemann, zwei Kobolde und ein Geschöpf, das wie ein aufrecht gehender Stier aussah. Sie stachen mit Speeren nach dem Geisterhund, vermochten die Bestie jedoch nicht zu verletzen. Dann grub sich die Schnauze des Hundes in die Brust des Stiers. Der Gehörnte stieß gurgelnde, abgehackte Schreie aus. Die übrigen Kämpfer gaben auf. Sie ließen die Waffen fallen und liefen davon.
»Luth steh mir bei!«, murmelte Kadlin. Gundaher rief ihr nach, sie solle umkehren.
»Lass mich stark sein, Luth. Lass uns diese unheilige Kreatur aus diesem Land voller Schönheit tilgen.« Der Geisterhund sah sie an. Alle Kraft schien aus ihren Beinen zu fliehen. Sein Blick allein genügte, sie zum Halten zu bringen.
Kadlin blickte auf das Schwert in ihrer Hand. Die Waffen der anderen hatten gegen den Hund nicht geholfen. Aber umarmen würde sie ihn gewiss nicht!
»Gib mir Kraft, Luth! So viele deiner Kinder sind gestorben. Vereine mich mit ihnen, oder lass meine Flucht ein Ende haben und mich den Feind besiegen. Ich lege mein Leben in deine Hand, Schicksalsweber.«
Der Hund ließ von dem Stiergeschöpf ab. Die mächtige Gestalt war in sich zusammengesunken. Sie schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen.
Ganz gemächlich kam die Geistererscheinung zu ihr hinüber. Kadlin hörte hinter sich Stimmen rufen.
»Keine Flucht mehr!«, sagte sie leise zu sich und hob das Schwert.
Der Hund schien ihre Waffe spöttisch anzublicken.
Heiße Wut wallte in ihr auf. Als Tochter des Fjordlands galt sie ihm wohl weniger als das niederste Albenkind! Sie machte einen Ausfallschritt. Ihr Schwert schnellte vor, ein Schwert, geweiht durch ihren Glauben an Luth. Eine Waffe, wie es keine zweite in Albenmark gab. Ohne Widerstand glitt sie durch die Geistgestalt. Sprühendes, blaues Licht umspielte die Klinge. Eiseskälte griff nach Kadlins Fingern und kroch ihren Arm hinauf. Auf dem Gras rings herum bildete sich Raureif. Ein seltsamer Geruch wie nach einem Gewitter hing in der Luft.
Der Geisterhund war so groß wie ein einjähriges Fohlen. Sein Maul war weit aufgerissen. Die spitzen Zähne wurden blasser.Der Geist schien blaues Licht zu schwitzen. Der Übermut war aus seinem Blick gewichen. Er sah Kadlin in fassungslosem Entsetzen an.
»Töte ihn, Luth!«, sagte die Jägerin, und die Kreatur verschwand.
Kadlin stand wie versteinert. Nur langsam wich die Kälte aus ihren Gliedern. Eine immer größer werdende Schar von Albenkindern umringte sie.
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