Elfenlicht
dauerte nicht lange, und sie erreichten eine Gasse, an deren Ende der weite Platz gelegen war, der vom hohen Giebel des Balbartempels überragt wurde.
»Du wolltest nicht, dass ich dorthin gehe, nicht wahr?«, fragte Ollowain.
»Richtig«, entgegnete Ganda knapp.
»Und warum?«
»Sie verbrennen dort zu Ehren ihres Gottes kleine Mädchen. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, nennen sie das Mädchen Gottesbraut! Dieses widerliche Schauspiel soll eine Hochzeit sein. Ich wollte nicht, dass du das siehst. So wie du dich mit den Katzen im Hafen angestellt hast, fürchtete ich, du könntest durchdrehen. Diese Sorge hatte ich sicher nicht zu Unrecht, oder?«
Ollowain blieb ihr eine Antwort schuldig. An seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er dachte, als sie auf den weiten Platz traten. In dessen Mitte erhob sich eine mehr als zehn Schritt hohe Statue. Sie zeigte einen Mann auf einem Thron, der einen langen, eckig gestutzten Bart trug. Die Arme der Figur waren seltsam angewinkelt und ruhten auf seinem Schoß. Das Götterbild hielt seine offenen Handflächen dem Himmel entgegen. Eine Gruppe Priester machte sich dort zu schaffen; sie waren über eine hölzerne, mit Blumenkränzen geschmückte Rampe hinauf zu den offenen Händen gelangt.
Der Kopf des Götzenbildes war leicht in den Nacken gelegt und der Mund weit aufgerissen, als wolle es etwas dem Himmel entgegenschreien. Dunkler, von rotem Feuerschein umspielter Rauch quoll aus der Öffnung.
Die Priester hoben etwas Längliches, in weiße Tücher Geschlagenes auf und schoben es in den Schlund des Götzenbildes. Was immer sie dort den Flammen übergaben, hatte etwa dieselbe Größe wie sie, dachte Ganda schaudernd.
»Das tun sie jeden Tag?«, fragte Ollowain mit belegter Stimme.
»Ja. Und wenn sie glauben, ihr Gott zürne ihnen, dann feiern sie sogar mehrere dieser Hochzeiten am Tag. Iskendria ist kein sicherer Ort für junge hübsche Mädchen.« Der Elf sah sie eindringlich an. Was dachte er jetzt? Fragte er sich, warum sie ausgerechnet die Gestalt eines kleinen Mädchens angenommen hatte? Sie hatte ja keine Ahnung gehabt ...
»Bring uns fort von hier, Ganda. Ich will keine Stunde länger als notwendig in dieser Stadt verbringen.«
Die Lutin sah sich nach der Säule mit dem springenden Delfin um. Auch wenn der weite Platz Balbar geweiht war, so gab es hier doch auch Statuen anderer Götter. Der Delfin war der Gatte der Meeresgöttin Bessa, ein freundliches Geschöpf. Er half den Steuerleuten, die rechte Fahrtroute durch gefährliche Gewässer zu finden, und viele Geschichten rankten sich darum, wie er Schiffbrüchige rettete. Die Männer auf der Galeere hatten oft von dem Delfingott erzählt.
Endlich entdeckte Ganda das Bildnis des Delfins: Es erhob sich auf ihrer Seite des Platzes. Sie war froh, dass sie nicht an der Balbarstatue vorübergehen mussten. Die erste weite Straße, die hinter dem Bildnis des Delfins vom Platz abzweigte, führte zum Hause Sem-las; so hatte Emerelle es ihr beschrieben.
»Mein Scherz am Hafen tut mir leid«, sagte Ollowain unvermittelt.
Ganda blickte zu ihrem rätselhaften Reisegefährten auf. Aus diesen Elfen wurde man einfach nicht schlau. »Wovon redest du?«
»Von dem Händler für Opfertiere am Hafen. Du wusstest dort schon, dass sie ihren Göttern nicht nur weiße Katzen und Stiere opfern, nicht wahr? Ich hatte keine Ahnung, dass sie auch hellhäutige Mädchen ... Ich ... Es tut mir leid.« Der Schwertmeister hielt den Schleier noch immer auf die Wunde gepresst; der zarte Stoff war voll gesogen mit Blut. Seine Züge waren angespannt. Er litt, aber nicht an der Verletzung. Er wich ihrem Blick aus.
Ein Elf, der sich vor einer Lutin schämte! Von so etwas hatte sie noch nie gehört. Eigentlich hätte er es verdient, sich noch eine Weile mit diesem Gefühl zu plagen, aber aus ihr unbegreiflichen Gründen tat Ollowain ihr leid. Ihr, die noch vor ein paar Tagen ruhig zugesehen hätte, wenn die Trolle Emerelles Burg gestürmt und jeden Elfen geschlachtet hätten, den sie zu packen bekamen.
»Ich weiß es seit dem ersten Tag der Schiffsreise. Der Kapitän und seine Männer ... Sie wollten dich bei Nacht überwältigen und ins Meer werfen. Sie dachten, dass du nach Iskendria reist, um mich dort an die Balbarpriester zu verkaufen. So etwas kommt wohl nicht selten vor. Deshalb habe ich die wilde Geschichte über dich erfunden.«
Sie sah, wie sich die Wangenmuskeln des Elfen spannten. »Du hast es also tatsächlich zu meinem Schutz
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