Elfenlicht
des Hauses eine Elfe war, um sie noch als solche zu erkennen.
»Ollowain, was für eine Überraschung, dich zu sehen. Bei Bessa, du bist ja verletzt, du ...« Sem-la lächelte verlegen. »Entschuldigt, so lange treibe ich schon diese Maskerade, dass ich mir ganz wie die Menschen angewöhnt habe, bei jeder Gelegenheit den Namen eines ihrer Götzen anzurufen.«
»Alles, was ich brauche, ist ein sauberer Verband.«
»Nein, das werde ich nicht zulassen! Ich persönlich werde mich um deine Wunde kümmern. Ich bin bewandert in der Heilkunst, wie du dich vielleicht erinnerst.«
»Ich habe nicht vergessen, warum man dich verbannt hat«, entgegnete der Elf kühl.
Ganda beobachtete die beiden neugierig. Ob Ollowain dieser aufgedonnerten Elfenschlampe wohl einmal etwas bedeutet hatte? Wie Sem-la wohl ausgesehen hatte, bevor sie Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte damit verbracht hatte, sich als Menschenweib zu verkleiden? Vielleicht war die Verbannung hierher doch eine härtere Strafe, als sie anfangs angenommen hatte?
»Ich bestehe darauf, dass ihr euch von eurer Reise erholt.«
»Wir müssen deine Gastfreundschaft leider zurückweisen«, erwiderte Ollowain in einer Entschiedenheit, die fast schon unhöflich war. »Unser Auftrag in der Bibliothek duldet keinerlei Aufschub.« Sollten seine kühlen Worte Sem-la verletzt haben, ließ sie sich zumindest nichts anmerken. »Sei nicht töricht, Ollowain. Du weißt, ich bin eine gute Heilerin, und es würde nicht lange dauern. Weise mich nicht zurück.«
Der Schwertmeister zögerte noch einen Augenblick, doch schließlich nickte er zustimmend.
Ganda nahm zur Kenntnis, dass Sem-la sie nicht einmal eines Blickes würdigte. Die Lutin war es gewohnt, von adeligen Elfen wie Luft behandelt zu werden. Schweigend beobachtete sie, wie der Torwächter auf Geheiß seiner Herrin eine Schale mit Wasser und ein Kästchen brachte, in dem mehrere Furcht einflößend aussehende Messer und anderes chirurgisches Besteck lagen.
Geschickt zerschnitt die Elfe Ollowains Gewand und tupfte die Wunde sauber. Ganda sah, dass der Schnitt tiefer war, als der Schwertmeister behauptet hatte. Er musste viel Blut verloren haben. Warum hatte sich dieser Dummkopf so aufgespielt? Wut und Mitleid hielten sich in ihren Gefühlen die Waage. Er hatte keinen Augenblick gezögert, sein Leben für sie einzusetzen. An die Verachtung oder bestenfalls Überheblichkeit, mit der die meisten Albenkinder ihr Volk behandelten, hatte sie sich längst gewöhnt. Deshalb erschreckte sie seine Tat. Er hätte sterben können! Kein Elf opferte sein Leben für eine Lutin, es sei denn, er war versessen darauf, dem Tod zu begegnen. War das Ollowains Geheimnis? Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm.
Sem-la legte die linke Hand auf die Wunde des Schwertmeisters, die Herzhand. Ganda wusste, wie man den Heilzauber wirkte, auch wenn sie ihn nie erlernt hatte. Man musste selbstlos sein, um eine Heilerin werden zu können. Zu heilen hieß, die Schmerzen des Verletzten zu teilen, während man ein magisches Band zu ihm knüpfte.
Die Lippen der Hausherrin bebten. Sie stöhnte leise.
Sem-la wirkte nicht wie eine selbstlose Frau. Wie hatte sie diesen Zweig der Zauberei meistern können? Je mehr man die Elfen kannte, desto unbegreiflicher wurden sie, dachte Ganda.
Als Sem-la ihre Hand zurückzog, war die Wunde verschwunden. Kein Schorf, nicht einmal eine feine weiße Narbe verrieten, wo Ollowain verletzt worden war.
Der Elf streckte prüfend den Arm. »Ich danke dir, und ich bedauere, dir Schmerzen bereitet zu haben.«
»So selten kommt einer der unseren hierher und nimmt sich die Zeit, für ein paar Stunden zu verweilen, dass ich froh bin, wenn ich wenigstens die Schmerzen mit einem meines Volkes teilen kann, wenn sonst schon nichts geblieben ist, das man teilen könnte.«
Ollowain stand auf und zog den Umhang über den zerschnittenen Ärmel. »Wenn du so freundlich wärst, mich und meine Gefährtin zu dem Albenstern zu führen, der sich in deinem Haus verbirgt?«
»Wie du es wünschst.« Sollte Sem-la enttäuscht oder verärgert gewesen sein, so verstand sie es, ihre Gefühle zu verstecken. Sie klatschte zweimal laut in die Hände, und eine verborgene Tür nahe dem Silberbrunnen öffnete sich. Über zwei Treppen stiegen sie tief in einen Keller mit gewölbter Decke hinab. Der Boden hier war mit einem prächtigen Mosaik ausgelegt, das eine in schillerndem Rot aufgehende Sonne zeigte. Sieben Kraniche flogen in verschiedene
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