Elfenlicht
eröffnete ihr eine verborgene Welt, und ihr Geruchssinn verriet ihr ebenso viel über ihre Umgebung wie ihre Augen. Sie wusste, dass sie hier auf dem richtigen Weg war, denn Ollowain hatte eine feine Duftspur zurückgelassen. Sein Körpergeruch war zwar etwas ausgeprägter als bei anderen Elfen, aber immer noch zu schwach, um die Witterung aufnehmen zu können. Was ihn verriet, war der Geruch nach dem Waffenfett, mit dem er sein Schwert pflegte.
Ganda roch auch den Knochenleim, den die Buchbinder verwendet hatten, das Pergament und den Duft von Galläpfeln, die man zur Gewinnung von Tinte verwendete. Frisch bearbeitetes Holz, Staub und Bierhefe waren andere Duftmarken, die sie wahrnahm. Und der säuerliche Geruch der Angst. Nicht nur Qualbam roch danach. Dieser Duft war in die Lederdeckel der Bücher eingezogen. Hier in diesem niedrigen Saal hatten sich schon viele gefürchtet.
Die Lutin blickte zur Decke empor. Hinter einem dünnen Rauchschleier war sie mehr zu ahnen, als wirklich zu sehen. Kleos hätte hier tief gebeugt gehen müssen, so niedrig war der Büchersaal.
»Es gibt ziemlich gemeine Bücher«, flüsterte Qualbam. »Bücher, in die man Magie band, die sich dann irgendwann selbstständig machte. Viele davon haben wir Kobolde zu verantworten. Und ich rede jetzt nicht von so harmlosen Dingen wie dicken Chronikbänden, die sich einen Spaß daraus machen, dir auf den Kopf zu fallen, wenn du an ihrem Regal vorbeigehst. Oder Lexika, die in ihren Artikeln ein geschicktes Netz von Lügen verbreiten, das sich beständig dem Wissensstand ihrer Leser anpasst, bis diese nicht mehr zu erkennen vermögen, was Wahrheit und was Trug ist. Aber das ist Kinderkram ... Ich rede von Büchern, die mit ihren Bronzebeschlägen nach deinen Fingern schnappen, wenn du sie in die Hand nehmen willst, Bücher, die dich trinken und zu einer bunten Figur in einer Illustration machen, oder, schlimmer noch, Bücher, die eine Pforte ins Nichts sind, durch die du in den bodenlosen Abgrund stürzt, wo dunkle Seelenfresser auf dich warten.« Wieder sah er sich ängstlich um. »Und dann gibt es da noch die besessenen Bücher, die den Geist eines verwirrten Autors in sich tragen. Ihre Verfasser haben sie meist mit ihrem eigenen Blut geschrieben. Sie enthalten Geschichten, die keinen Anfang und kein Ende haben. Und wenn du in ihnen blätterst, dann stehlen sie dir deine Erinnerungen, in der Hoffnung, dass du zu der Romanfigur wirst, die der planlosen Erzählung einen Sinn verleiht. Manchmal tauschen sie sogar deine Erinnerung aus. Das ist besonders heimtückisch. Du erinnerst dich dann in tausend Einzelheiten an ein Leben, das du niemals geführt hast. Grobhäm Plog, ein Lutin, der lange Zeit in Talsin lebte, ist berüchtigt dafür, mehr als zwei Dutzend dieser besessenen Bücher erschaffen und an Leute verteilt zu haben, die er nicht leiden konnte. Die meisten dieser verfluchten Bücher sind jetzt hier und gut weggeschlossen, aber einige haben die Eigenschaft, dass sie einfach nicht an dem Platz bleiben wollen, an dem man sie ablegt. Nicht einmal schwere Eisenketten oder Bleitruhen halten sie gefangen.«
Ganda kannte Grobhäm aus hunderten Erzählungen und tausenden Flüchen. Er trug mit Schuld daran, dass die Lutin einen so schlechten Ruf hatten. Mochte er auch für alles Ungemach, das er erlitten hatte, Genugtuung erstritten haben, so hatte er zugleich seinem Volk eine ungleich größere Last aufgeladen. Sprachen die anderen Völker über Lutin, dann dachten sie an Grobhäm und ähnliche Griesgrame. Waren Lutin in der Nähe, dann schrieb man ihnen jedes Missgeschick zu, das geschah, von Fehlgeburten beim Vieh über Unfälle in Haus und Hof bis zu hin zu schlechtem Wetter.
Qualbam beäugte misstrauisch ein kleines, schwarzes Büchlein, das zuoberst auf einem Stapel lag. »Nimm hier nie ein Buch in die Hand, von dem du nicht sicher weißt, was darin stehen wird. Suche im Zweifel einen der Hüter des Wissens und frag ihn, ob du ein Buch gefahrlos lesen kannst. Sie erkennen die besessenen Bücher. Meistens ... Sie verändern ihre Gestalt. Die Bücher natürlich, nicht die Hüter des Wissens. Und sie wirken ganz harmlos.«
Ganda musste unwillkürlich an das Buch denken, das Galawayn in seinem Zelt verwahrte. Mochte das so ein verfluchtes Buch sein? War es eine Falle für sie? Hoffte der Elf darauf, dass sie es sich ansah? Ergab das einen Sinn? Galawayn hatte ihr nichts getan ... Und auch für Ollowain hatte er nur das Beste gewollt. Die Lutin
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