Elfenlicht
Brandfleck pinkeln? Sie ahnte, dass sie selbst dann nicht sicher wäre, auch den letzten Funken wirklich erstickt zu haben.
Ganda schloss die Augen und kämpfte gegen ihre Ängste an. Als sie halbwegs gleichmäßig atmete, öffnete sie ihr Bewusstsein und suchte nach der Aura des Feuers. Es war etwas Lebendiges. Verzweifelt kämpfte es darum, fortbestehen zu können. Sie spürte einzelne Glutflecken verlöschen, aber sie fühlte auch, wie sich an anderen Stellen das Glimmen tiefer fraß.
Ganda flüsterte leise die Worte der Macht. Behutsam ließ sie die Silben über ihre Zunge streicheln. Vor langer Zeit hatte ihr Lehrer, Meister Gromjan, sie eindringlich davor gewarnt, ihre Gefühle in die Zauber einzubinden. Die Magie wurde zwar um vieles stärker, doch sie wurde so wild und unbeherrschbar, wie starke Gefühle es waren. Meistens hielt sich Ganda an diesen Rat. Doch jetzt war ihre Angst zu stark ... die Angst vor der bedrückenden Enge des Büchertunnels und vor dem, was geschehen mochte, wenn sie das Feuer nicht vollständig erstickte.
Es wurde schlagartig kälter. Die Luft knisterte. Wie alles, das lebte, brauchte auch Feuer Luft zum Atmen. Ganda dachte an die Faust, die auf ihre Brust drückte, das Gefühl, das sie am Ende des Tunnels fast übermannt hatte. Sie gab die Angst wei
ter, ließ sie aus sich herausfließen in den Zauber. Dann hielt sie den Atem an.
Ganda spürte, wie die letzten Funken verzweifelt um ihr Sein rangen. Die Ledereinbände der Bücher rings herum knirschten.
Die Lutin fühlte sich benommen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie einen letzten Funken. Er umkreiste sie. In immer schnelleren Wirbeln drehte er sich um sie. Dann verschlang ihn die Finsternis. Ganda verharrte. Sie suchte. Doch da war nichts mehr. Sie hatte das Feuer besiegt. Und auch ihre Angst war gewichen.
Sie atmete tief ein. Die Luft war eisig. Und ein leichter Duft von Waffenfett mischte sich unter die Ausdünstungen der uralten Bücher.
Ganda öffnete die Augen. Sie betrachtete den großen Brandfleck vor ihren Füßen. Peinlich! Rasch sammelte sie einige lose Blätter und breitete sie über das schwarze Schandmal. Die Angst war von ihr abgefallen. Und der Bücherberg über ihr ruhte.
Die Lutin ließ sich von dem Duft nach Waffenfett leiten. Sie würde nicht noch einmal dulden, dass Panik ihre Sinne blendete. Und sie fand einen schmalen Spalt zwischen schiefen Bücherstapeln. Es war ihr ein Rätsel, wie sich der Elf dort hindurchgezwängt hatte. Sorgsam darauf bedacht, keines der Bücher zu bewegen, zwängte sie sich durch den Spalt. Ollowain war kaum zwei Schritt entfernt.
Im Chaos der stürzenden Bücher war ein kleiner Hohlraum entstanden. Und wie Stalaktiten in einer Grotte hingen zerfetztePergamentstreifen von der Decke. Gandas Öllampe tauchte Ollowains Zuflucht in goldenes Licht. Sein Schwert lehnte an einem Bücherstapel. Er hielt etwas mit beiden Händen umklammert und presste es sich gegen die Brust. Über seinen Daumen erhob sich das Haupt der schwarzen Magierin aus dem Falrach-Spiel.
Der Schwertmeister blickte in Richtung des Spalts, durch den Ganda gekommen war, und doch wusste die Lutin, dass er sie nicht sah. Seine Augen waren leer. Tränen rannen ihm über die Wangen. Dabei war er vollkommen still. Kein Schluchzen kam über seine Lippen. Kein Seufzer hob seine Brust. Er weinte stumm, auf eine Art, wie Ganda nie zuvor in ihrem Leben jemanden hatte weinen sehen.
Sein Anblick schnürte ihr die Kehle zu. Selbst in seiner Trauer wirkte er noch vollkommen. Im Schneidersitz saß er kerzengerade zwischen den Büchern. Sein Haar war ein wenig durcheinander geraten, und seine Augen waren leicht gerötet. Das Antlitz des Elfen war bleich wie Winternebel, der aus einem schwarzen Pfuhl stieg. Es war alterslos schön. Wie aus Marmor geschnitten und ebenso unbewegt. Versteinert. Bis auf die Tränen.
Ganda wusste nicht, was sie sagen sollte. Welche Worte würden bis zu Ollowains Verstand vordringen, der sich so weit hinter die steinerne Maske zurückgezogen hatte? Sie ahnte, dass er wieder zu sich käme, wenn sie nach der schwarzen Magierin griff. Doch sie wagte es nicht. Sie hatte Angst vor dem, was er tun mochte, um die Spielfigur zu schützen.
Vorsichtig streckte Ganda die Hand nach Ollowains Schwert aus. Nichts.
Die Lutin nahm die Waffe an sich, ohne den Schwertmeister aus den Augen zu lassen. Keine Reaktion. Er ließ sich widerstandslos entwaffnen. Der weiße Ritter der Shalyn Falah, der berühmteste Krieger
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