Elfenliebe
das ursprüngliche Paar. »Das sind Heather und Lotus. Sie lieben sich im Verborgenen, aber Heathers Vater, der dahinten«, er zeigte auf einen älteren Elfen mit einem braunen Zottelbart, der mit grauen Strähnen durchsetzt war, »befiehlt ihr, stattdessen Darnel zu heiraten. Der menschliche Brauch, dass die Eltern die Ehepartner auswählen, ist übrigens wirklich lächerlich.«
»Das wird schon lange nicht mehr gemacht. Jedenfalls nicht in meiner Gegend.«
»Trotzdem.«
Die beiden Männer traten wieder von der Bühne ab und Heather und Lotus vereinten sich zu einem traurigen Pas de deux. Solch eine Musik hatte Laurel noch nie gehört. Ihr kamen die Tränen angesichts dieser Menschen, deren Liebe unter einem schlechten Stern stand und die so wunderschön zu dem leidenden Refrain des Orchesters tanzten.
Dann wurde es heller. Lotus sprang auf einen Felsen
und breitete die Arme aus, um etwas zu verkünden. »Was passiert denn jetzt?«, fragte Laurel und zupfte aufgeregt an Tamanis Ärmel.
»Lotus hat beschlossen, sich bei Heathers Vater zu beweisen, indem er ihm einen Apfel von der Insel der Hesperiden bringt – die man auch Avalon nennt.«
Als niemand mehr auf der Bühne war, schimmerte sie einen Augenblick lang, ehe sie sich in einen riesigen Blumengarten verwandelte, in dem Blüten aller Farben und Formen wuchsen. Laurel schnappte nach Luft. »Wie haben sie das gemacht?«
Tamani lächelte. »Die Kulisse ist größtenteils eine Illusion. Darum sind Sommerelfen ja auch für die Unterhaltung zuständig.«
Laurel beugte sich vor, um sich das neue Bühnenbild genau anzusehen, aber ihr blieb nur wenig Zeit, ehe sich die dahingezauberte Lichtung mit tanzenden Elfen in strahlend bunten Kostümen füllte. Auf der Stelle erkannte sie, wie offensichtlich ungraziös die »Menschentänzer« auf die Eingeweihten gewirkt haben mussten. Das Elfenensemble tanzte die komplizierte Choreografie mit einer Anmut, die Anna Pavlova beschämt hätte. Nach einigen Minuten dieser unglaublichen Aufführung betrat eine recht große Elfe in einem schimmernden, eng anliegenden Gewand von rechts die Bühne. Das Ensemble sank auf die Knie, um alle Aufmerksamkeit auf das Solo der Haupttänzerin zu lenken. Laurel hatte in San Francisco hochkarätige Ballettaufführungen gesehen, aber auf die Begabung und Grazie dieser Tänzerin war sie nicht gefasst.
»Wer ist das?«, hauchte sie Tamani zu, während sie die Bühne nicht aus den Augen ließ.
»Titania«, erwiderte er.
»Die Titania?«, fragte Laurel atemlos. Tamani hatte den Arm um sie gelegt, als sie die Köpfe zusammensteckten, um sich im Flüsterton zu unterhalten. Laurel merkte es kaum.
»Nein, nein. Ich meine, sie spielt die Titania.«
»Oh«, sagte Laurel, ein wenig enttäuscht, dass sie doch nicht mit eigenen Augen eine Elfenlegende tanzen sah. In der Mitte von Titanias wunderschöner Arabeske kam auf der rechten Seite ein Elf aus den Kulissen – diesmal ohne Bart. Zwitschernd sank das Ensemble in tiefe Verbeugungen.
»Ist das Oberon?«, fragte Laurel, der eingefallen war, dass der Elfenkönig in den bekannten Sagen stets als Partner von Titania auftrat.
»Wie ich sehe, kommst du langsam dahinter«, sagte Tamani und grinste sie an.
Der Elf, der Oberon spielte, begann mit seinem eigenen Solo. Er bewegte sich unverfroren, herausfordernd, beinahe gewalttätig, doch mit derselben kontrollierten Anmut wie die Elfe, die Titania verkörperte. Kurz darauf tanzten die beiden zusammen und versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen, während die Musik stärker und lauter in den Vordergrund drängte. Doch auf einmal kreischten die Bläser und Titania fiel über ihre eigenen Füße. Sie sank zu Boden. Mit einer wilden Geste und ärgerlich stampfend verließ sie mit ihrem Gefolge die Bühne, verscheucht von Oberons Elfen.
»Warum sind sie böse auf sie?«, fragte Laurel.
»In unserer Geschichte spielt Titania eine unrühmliche Rolle«, erklärte Tamani. »Sie war eine Herbstelfe – noch dazu vom Unseligen Hof –, die in einer Zeit Königin wurde, als es keine Winterelfen gab. Kurz darauf wurde Oberon geboren und übernahm im jungen Alter von zwanzig Jahren die Königswürde. Aus Sicht des Adels war er fast noch ein Kind und doch konnte es manchen nicht schnell genug gehen. Titania trägt die Verantwortung für die schreckliche Katastrophe von Camelot.«
»Die Orks … haben es zerstört, stimmt’s?«
»Richtig. Und in den anschließenden Wirren kam Oberon um, der sich gerade als
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