Elfenlied
um mich herum beobachtet wurde. Aber auch daran gewöhnte ich mich.
Ich besuchte die Gasse der Gewürzhändler und badete in tausend Düften. Ich nahm geriebenen Pfeffer in die Hände, Ingwer und goldenen Sesam. Kostete die verschiedensten Honigsorten, natürlich ohne dafür zu zahlen. Ließ mir Entenleber reichen und sah verwundert, wie gestandene Händler voller Stolz aufblühten, wenn ich nur ein einziges freundliches Wort oder selbst nur ein anerkennendes Nicken für sie übrig hatte.
Ich ließ zu, dass man mir ein paar gute Stiefel und Wollstrümpfe schenkte, weil ich barfuß ging, und unterhielt meine Wohltäter mit einigen tolldreisten Lügengeschichten über das Leben der Maurawan.
Es dauerte viele Stunden, bis ich zum ersten Mal mit Elija allein war. Wir hatten uns auf einer Mauer am Rand eines der vielen Kanäle der Stadt niedergelassen und sahen Arbeitern zu, die eine beschädigte Brücke ausbesserten.
»Dir macht das Spaß, nicht wahr?«, sagte Elija gehässig.
»Ja«, gab ich unumwunden zu. »Ich verhalte mich genau so, wie Gromjan es mir aufgetragen hat.«
»Weißt du, dass man von dem, was so ein Paar Stiefel kostet, eine zehnköpfige Koboldfamilie ein halbes Jahr ernähren kann? Du hättest es nicht annehmen dürfen!«
»Ich hatte kalte Füße. Ich musste sie annehmen. Elfen frieren nicht. Wenn man mich vor Kälte zittern sähe, dann würde das Fragen aufwerfen, auf die ich keine Antworten habe.«
Er spuckte in den Kanal. »Ach ja? Ich habe das Gefühl, dass du um faule Ausreden nie verlegen bist. Wohin gehörst du? Zu uns oder an den Hof Emerelles, wo man deinesgleichen den Arsch nachträgt?«
Er fing an, mir diesen wunderbaren Tag zu verderben. »Wie würdest du dich denn entscheiden, wenn du die Wahl zwischen Scheißesammeln und Arschtritten oder aber dem Leben an einem Königshof hättest?«
»Ich würde mich niemals bedienen lassen«, entgegnete er, ohne zu zögern. »Am allerwenigsten von Kobolden! Wir sind die Fußabtreter der Elfen. Wir leben von den Brosamen, die von ihren Tischen fallen. Und viele von uns sind so einfältig, sich mit einem elfischen Lächeln und ein paar freundlichen Worten als einzigem Dank zufriedenzugeben. Glaubst du, die Alben haben uns zu den Dienern der Elfen bestimmt?«
»Woher willst du wissen, dass die Alben uns nicht als Diener anderer Völker erschaffen haben?«
»Hätten sie Dienern einen eigenen Albenstein geschenkt? Nein! Sie haben gewollt, dass wir alle frei und gleich sind!«
»Wie kannst du einen Kobold und einen Elf gleich nennen? Schau dir doch nur ihr Äußeres an.«
Er sah zu mir auf. »Zur Elfe geworden zu sein, hat dich auch nicht klüger gemacht. Ich meine nicht, dass wir alle gleich aussehen sollten. Wir haben die gleichen Rechte. Und niemand ist eines anderen Diener.«
»Vielleicht mögen es manche ja, Diener zu sein.«
Er deutete zu der halb verfallenen Brücke. Sie war mit Gerüsten umgeben. Etliche Kobolde arbeiteten dort. »Warum sind es Kobolde, die dort im eisigen Wasser stehen? Elfen könnten sich mit einem Zauber gegen die Kälte wappnen. Wir können das nicht. Glaubst du, einer von ihnen hat Spaß an seiner Arbeit?«
»Sie werden sicher entlohnt …«
»Es ist die Angst, die sie arbeiten lässt. Ihr Herr ist Shandral, ein Verwandter des Fürsten von Arkadien. Er will dort auf der Brücke eine Schmiede errichten mit großen Hämmern, die durch die Kraft des Wassers bewegt werden sollen. Er ist berüchtigt dafür, seine Kobolde besonders schlecht zu behandeln. Siehst du die beiden Käfige, die ein klein wenig aus den Fluten ragen?«
Ich bemerkte sie erst, als er mich darauf ansprach. Sie hingen an starken Seilen vom Brückengeländer herab. »Was ist damit?«
»Shandral hat den Kobold, der die Brücke entwarf, und denjenigen, der die Arbeiten leitete, in je einen Käfig stecken lassen. Das war gestern. Ich habe es mir mit Zita und vielen anderen Kobolden gemeinsam angesehen. Shandrals Opfer konnten so gerade den Kopf über Wasser halten. Bis das kalte Wasser ihnen langsam die Kräfte nahm. Der Baumeister ging als Erster vor Entkräftung in die Knie. Ein Viertel von einer Stunde hat er gegen das Ertrinken angekämpft. Dann brachte er seinen Kopf nicht mehr über Wasser. Der Vorarbeiter hat bis nach der Dämmerung durchgehalten, habe ich gehört. Ihre Leichen werden in den Käfigen gelassen, damit die Fische sie fressen. Das ist die Gerechtigkeit der Elfen.«
Emerelle hätte so etwas bestimmt nie getan, dachte ich.
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