Elfenlord
gelassen zu bleiben. »Du wirst von einer Schlange angegriffen?« Wenn sie von einer Schlange angegriffen wurde, konnte er nichts mehr für sie tun. Überhaupt nichts. Selbst wenn sie, wie durch ein Wunder, nur eine halbe Meile entfernt war, würde er nicht mehr rechtzeitig da sein, um sie retten zu können.
»Bald«, sagte Blue in ihrer verträumten Stimme. »Der Listenreiche hat mir meinen Leuchtfaden weggenommen.«
Da Clowns und Schlangen und Leuchtfäden überhaupt keinen Sinn ergaben, konzentrierte Henry sich auf die eineSache, die vielleicht doch einen Sinn ergab. »Wo bist du, Blue? Du musst mir sagen, wo du bist!«
»Im Dunkel«, wiederholte Blue, und zu Henrys Schrecken schien ihre Stimme bereits schwächer zu werden.
»Wo im Dunkel?«, fragte er verzweifelt. »Bist du im Palast? Bist du in der Stadt? Blue, wo bist du?«
Blue sagte etwas, aber so leise, dass Henry es nicht verstehen konnte.
In wachsender Panik beugte er sich vor und packte Ino am Arm. »Wo bist du, Blue?«, rief er. »Bitte, Liebling, sag mir, wo du bist!«
»Sie ist in den Bergen des Wahnsinns«, sagte Ino verärgert mit Mr Fogartys Stimme. »Und nenn mich gefälligst nicht ›Liebling‹.«
ACHTUNDSIEBZIG
K önnen Sie eine Diagnose stellen?«, fragte Madame Cardui und knöpfte ihre Bluse zu.
Der Oberzauberarztheiler Danaus, der seine Untersuchung mit dem Rücken zu ihr durchgeführt hatte, sagte leise: »Ich fürchte, Sie sind positiv.«
»Ich habe das Zeitfieber?«
»In einem frühen Stadium, ja.«
Sie befanden sich in den privaten Sprechzimmern des Oberzauberarztheilers. Vor der Tür stand eine Wache und militärische Schutzzauber waren aktiviert. Madame Cardui war sich schmerzhaft bewusst, dass ihr Gesundheitszustand politische Folgen hatte, jetzt, wo Kaiserin Blue nicht mehr im Palast, ihr Torhüter tot und Pyrgus in Stase war. Leise sagte sie: »Was schlagen Sie vor?«
»Sofortige Stase«, sagte Danaus unverblümt.
»Unmöglich«, sagte Madame Cardui. Sie war fertig damit,ihre Kleidung zu ordnen, und fügte hinzu: »Sie können sich jetzt wieder umdrehen.«
Danaus wandte ihr langsam seinen großen, massigen Leib zu. Auf seinem Gesicht lag ein nüchterner, gequälter Ausdruck. »Unmöglich …?«, wiederholte er müde.
Madame Cardui sagte schnell: »Bis Ihre Majestät zurückkehrt, werde ich im Palast gebraucht.«
Danaus schüttelte den Kopf. »Niemand ist unersetzlich.«
Madame Cardui seufzte. »Ich fürchte, ich bin es doch, Oberzauberarztheiler. Zumindest bis Kaiserin Blue zurückkehrt und möglicherweise sogar danach. Es ist schlicht unmöglich für mich, sofort in Stase zu gehen.«
»Unmöglich hin oder her, es ist nötig.« Sie standen da und musterten sich schweigend und dann ergriff er, zu ihrer Überraschung und ihrem nicht gelinden Schrecken, ihre Hand. »Cynthia«, sagte er leise, »Prinz Pyrgus ist ein junger Mann – kaum älter als ein Kind. Sie haben gesehen, wie das Fieber ihn zugerichtet hat. Torhüter Fogarty war ein älterer Mann, als er das Fieber bekam. Sie haben gesehen, wie schnell es ihn getötet hat.« Er sah ihr tief in die Augen. »Verzeihen Sie mir, Cynthia, aber Sie sind noch älter als Torhüter Fogarty. Sie fühlen sich vielleicht nicht so alt, Sie sehen nicht so aus, aber die schlichte Tatsache ist: Ich habe Ihre Krankenakte.«
Madame Cardui entzog ihm sanft ihre Hand und wandte ihren Kopf ab: »Ja«, sagte sie, »das stimmt. Alan wusste nicht, wie viele Jahre zwischen uns lagen – natürlich eine Folge des Unterschieds zwischen der Elfenphysiologie und der des Menschen –, und ich verspürte auch keinen großen Drang, es ihm zu sagen.« Sie sah Danaus wieder an und ihre Augen funkelten plötzlich heftig.
»Aber es ist doch nicht das Alter, das zählt, oder? Wenn ich diese Seuche recht verstehe, dann ist es wichtig, wie viel Zukunft man noch hat. Ist es nicht so, Oberzauberarztheiler? Eine achtzigjährige Elfe, die noch hundert Jahre zuleben hat, ist doch bestimmt besser dran als ein achtzigjähriger Mensch, der vielleicht noch zehn Jahre hat?«
»Sie sind keine achtzig Jahre alte Elfe«, sagte Danaus sanft. »Sie haben keine hundert Jahre mehr.«
»Ja«, stimmte Madame Cardui ihm zu. »Aber Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen, aber da gibt es noch etwas, das zu bedenken ist. Alle unsere Untersuchungen zeigen, dass die Krankheit schneller fortschreitet, wenn man sie erst spät im Leben bekommt.«
Das war wieder etwas, das er vorher
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