Elfenlord
bedeutete, dass sich offenbar niemand allzu große Sorgen wegen der Ansteckungsgefahr machte. Henry bemerkte, dass Nymph mit größtem Respekt behandelt wurde, und fragte sich, warum. Dann wurde ihm klar, dass sie mit dem früheren Kaiser verheiratet war. Pyrgus mochte das Amt nur für wenige Sekunden ausgeübt haben, aber er war immer noch ein Prinz des Elfenreiches, was bedeutete, dass Nymph jetzt wahrscheinlich eine Stadtprinzessin war, so wie sie von Haus aus eine Waldprinzessin war. Henry selbst wurde höflich behandelt, aber er hatte den starken Eindruck, dass niemand sich an ihn erinnern konnte. Was in Ordnung war – er hatte sich nie wohlgefühlt als Iron Prominent, Ritter des Graudolch-Ordens, hauptsächlich weil er nie das Gefühl gehabt hatte, dass er diese Ehrung verdiente.
»Sollen wir von hier laufen?«, sagte Nymph und unterbrach seine Gedanken. »Oder möchtest du, dass ich eine Kutsche holen lasse?«
»Laufen«, sagte Henry knapp. »Es ist ja nicht weit.« Auf die Weise hätte er noch etwas Zeit, seine Gedanken zu ordnen und sich zu überlegen, was er zu Blue sagen sollte. Oder zu Mr Fogarty, was noch viel wichtiger war.
Aber Augenblicke später bereute er seine Entscheidung. Der Weg, den sie nahmen, war der gleiche, den er an jenemAbend mit Blue genommen hatte. Die Erinnerungen, die immer noch wach waren, überfluteten ihn jetzt. Sein Unbehagen schien ihm ins Gesicht geschrieben zu sein, denn Nymph fragte: »Alles klar, Henry?« Als er nickte, fügte sie verständnisvoll hinzu: »Das geht schon in Ordnung, weißt du. Jeder versteht das.«
Er hatte die Vorstellung, dass Blue auf der Treppe des Purpurpalastes auf ihn warten würde, möglicherweise sogar in Begleitung ihrer Wachen, die ihn verhaften würden wegen … wegen … wegen Beleidigung der Kaiserin oder so. Aber das war idiotisch, und das wusste er auch, daher war er nicht wirklich überrascht, dass überhaupt niemand auf der Treppe auf ihn wartete. Nymph führte ihn durch eine Seitentür, sie gingen durch vertraute Gänge, und dann stand er plötzlich in der Tür zu Mr Fogartys Krankenzimmer. »Ich lasse euch jetzt allein«, flüsterte Nymph, aber er hörte sie kaum.
Mr Fogarty sah schrecklich aus. Um die Wahrheit zu sagen, er sah tot aus. Er lag mit geschlossenen Augen ausgestreckt auf dem Bett, und seine Haut war auf eine Weise grau, die gut zu einer Leiche gepasst hätte. Es gab kein Anzeichen dafür, dass er überhaupt noch atmete, aber von einem Bord über seinem Bett liefen lauter Schläuche in seinen Körper, die Henry ein wenig Hoffnung gaben. Wenn er tot wäre, hätte jemand sie gewiss schon entfernt. Es sei denn, er war innerhalb der letzten Minuten gestorben. Niemand sonst war im Zimmer.
»Mr Fogarty«, flüsterte Henry, der langsam in Panik geriet.
Mr Fogarty öffnete sofort seine Augen. Er sah Henry einen Augenblick lang an, ohne den Kopf zu bewegen, dann sagte er säuerlich: »Du hast äußerst knapp kalkuliert.«
Henry saß am Bettrand, wobei er darauf achtete, sich nicht auf Mr Fogartys Beine zu setzen, die unter all den Decken kaum noch zu sehen und so streichholzdünn waren, dasssie unter dem Druck von Henrys Hintern wie Zweige zerbrochen wären. Da waren kleine … Dinger … die in jenen Schläuchen schwammen, die in Mr Fogartys Wirbelsäule führten. Sie waren abstoßend und Henry konnte kaum den Blick von ihnen abwenden. Es wirkte so, als wäre er in einen Horrorfilm gestolpert.
Zu allem Überfluss verlief das Gespräch auch nicht sonderlich gut.
»Aber warum wollen Sie nicht mit mir zurückkommen?«, fragte er zum dritten oder vierten Mal, wobei ihm bewusst war, dass seine Stimme weinerlich, schrill und sogar ein wenig verzweifelt klang, aber er war überhaupt nicht in der Lage, sie unter Kontrolle zu bringen, weil er sich weinerlich, schrill und mehr als ein bisschen verzweifelt fühlte. »Ihr Haus ist in einem hervorragenden Zustand –«, was eine Lüge war, aber es war jetzt auf jeden Fall in keinem schlimmeren Zustand als vorher, »– aber ich habe mit Pyrgus gesprochen und wir können Ihnen ein anderes Haus besorgen, wenn Sie möchten, und Sie werden es sehr bequem haben, bis die Zauberer ein Gegenmittel gefunden haben –«
»Die Zauberer werden kein Mittel finden«, sagte Mr Fogarty unverblümt.
»Doch, natürlich werden sie eins finden!«, sagte Henry überzeugt, aber es kam in einem etwas herablassenden Tonfall heraus, so wie Leute klingen, wenn sie mit jemandem reden,
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