Elfenlord
über ihn, er trug immer noch diese bescheuerte Maske und den albernen Lendenschurz. Er hielt einen Dolch in der Hand.
Das war’s dann wohl!
, dachte Chalkhill, aber aus seinem Mund drang nur ein Wimmern.
»Du sollst dich jetzt erheben«, soufflierte ihm Avis, die Stimme von der Maske gedämpft.
Chalkhill sprang aus dem Sarg und nahm eine abwehrende Kampfstellung ein, die Beine leicht eingeknickt und mit einer Hand wie zum Karateschlag ausholend. Avis beachtete ihn nicht und stieß ihm mit der Dolchspitze leicht an die Brust. »Schwörst du hoch und heilig, dass du die Prinzipien dieses Unheiligen Ordens wahrhaftig, treu, ehrlich und gewissenhaft achten und seine Geheimnisse wahren wirst, bei Strafe, dass dir die Zunge abgeschnitten, die Augen ausgestochen, deine Brust aufgerissen und dein Herz von einem magischen Stromschlag zum Stillstand gebracht wird, der die Urkräfte des Universums anzapft?« Avis murmelte hastig. »Stimmst du ferner zu, bestätigst du, beschwörst du und verpflichtest du dich, diese heilige Bruderschaft mit all deinen weltlichen Gütern auszustatten, die du zuvor angehäuft hast und in Zukunft anhäufen wirst, bis auf die Summe, die zuvor mit deinem Paten abgestimmt worden ist, so wahr dir Finsternis helfe?«
Chalkhill sah ihn an.
»Sag
Ja
«, soufflierte Brimstone.
»Ja«, sagte Chalkhill.
Vereinzelter Applaus erklang unter den versammelten Brüdern. Hairstreak sagte förmlich: »Willkommen in unseremOrden.« Dann fügte er mit gelangweilter Stimme hinzu: »Hast du irgendeine Frage, Frater Chalkhill?«
»Wann kann ich mit Gott sprechen?«, fragte Chalkhill prompt.
ELF
D ie Stadt hatte sich sehr verändert, seit er zuletzt hier gewesen war. Das Gewimmel der vielen Menschen in Cheapside war ganz verschwunden und die Straßen lagen in unheimlicher Stille da. In Highgrove war es auch nicht besser. Selbst der geschäftige Verkehr auf der Loman Bridge war nur noch ein Rinnsal. Obwohl es ein ziemlich warmer Tag war, bemerkte Henry, dass Nymph die Fenster der Kutsche fest verschlossen hielt, und plötzlich kam ihm ein schrecklicher Verdacht. »Sie sind doch nicht schon alle tot, oder?«, platzte er heraus.
Nymph sah ihn überrascht an. »Wer?«
Henry schoss plötzlich etwas durch den Kopf, das er für seine Abschlussprüfung in Geschichte gelesen hatte – ein Bericht über den Schwarzen Tod in Europa. Die Krankheit hatte sich im 14. Jahrhundert wie ein Feuersturm verbreitet und ein Drittel der Bevölkerung auf dem Kontinent dahingerafft. Ein Reisender aus jenen Tagen hinterließ eine anschauliche Beschreibung von leeren Gassen und dem Gestank des Todes. »Die Leute«, sagte Henry.
Nymph starrte ihn noch einen Augenblick lang an, dann entspannte sie sich plötzlich und schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, die Todesrate ist noch nicht so hoch. Aber die Leute haben Angst, deshalb gehen sie kaum noch auf die Straße.« Sie blickte aus dem Wagenfenster und fügte zusammenhanglos hinzu: »Den Wald hat es noch nicht erreicht.«
»Wie –?« Henry zögerte. Er wollte kein Waschlappen sein, aber er musste es unbedingt wissen. »Wie … ansteckend ist es eigentlich? Ich meine, wie schnell kriegt man es?«
»Also, wir wissen ja nicht einmal genau, wie die Krankheit übertragen wird, aber man will kein unnötiges Risiko eingehen«, sagte Nymph nüchtern, was ihm überhaupt nichts erklärte. Er überlegte noch, wie er das Thema weiterverfolgen könnte, als Nymph selbst eine Frage stellte: »Was ist passiert zwischen dir und Blue, Henry?«
Die Frage vertrieb die Gedanken an die Krankheit aus seinem Kopf.
Was ist passiert zwischen dir und Blue, Henry?
Er hatte gewusst, dass ihm irgendjemand diese Frage eines Tages stellen würde, und Nymph war immer sehr direkt gewesen. Er spürte, wie sein Verstand in die übliche Verteidigungsstrategie verfiel –
Ich und Blue? Du glaubst, da war irgendwas zwischen mir und Blue?
–, dann beschloss er in einer gewaltigen Anstrengung, dass es Zeit war, mit den alten Mustern zu brechen. Er würde die nächsten Stunden niemals überstehen – zum Beispiel Blue wiederzusehen, was zwangsläufig geschehen würde –, wenn er sich jetzt nicht zusammenriss. Außerdem mochte er Nymph, und es war ihm immer leichtgefallen, mit ihr zu sprechen. Sie zog ihn nicht auf, sie machte keine Spielchen und sie hatte keine Hintergedanken. Er holte tief Luft, starrte wieder aus dem Fenster und sagte: »Ich hab’s vergeigt.«
Nach einer kurzen Pause fragte Nymph
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