Elfenlord
Bein abgenagt.
Er hoffte nur, dass es all das auch wert war.
FÜNFUNDZWANZIG
E s war all das wert! Er konnte sogar fühlen, wie die Zaubermembranen unter seiner Hand zerbrachen, aber die Gedankenverdreher wirkten nun nicht mehr. Stattdessen empfand er eine außergewöhnliche Klarheit und gesteigerte Energie trotz der Schmerzen im ganzen Körper. Seine Finger fummelten an dem Riegel herum, das Schloss gab nach, das Fenster öffnete sich leise und Brimstones Haus lag offen vor ihm.
Chalkhill kletterte hindurch und schwor sich, etwas abzunehmen. Er schloss das Fenster sorgfältig, löste den Schutzzauber aus, der es von außen undurchsichtig machte, und knackte dann einen Lichtkegel.
Er befand sich in einem schön geschnittenen Zimmer – diese alten Häuser waren alle gut geschnitten –, aber in einem vollkommen leeren Zimmer, in dem sich keinerlei Möbel oder sonstige Einrichtungsgegenstände befanden. Brimstone nutzte offensichtlich nicht das ganze Haus. Was nicht überraschend war. Er hatte immer sehr bescheiden gelebt. Hatte wahrscheinlich nur drei oder vier Zimmer bezogen. Das führte allerdings zu der Frage, wofür er überhaupt ein so großes Haus benötigte, selbst wenn es alt und wahrscheinlich billig war.
Chalkhill begann vorwärtszuschleichen, damit die Dielenbretter nicht knarrten, dann fiel ihm wieder ein, dass er allein im Haus war, und er lief aus dem Zimmer.
Er befand sich in der Diele hinter der Eingangstür, und auch sie war gänzlich unmöbliert. Mehrere Türen gingen von ihr ab. Chalkhill öffnete zwei davon auf gut Glück. Sie führten in leere, unmöblierte Zimmer. Die nächsten beiden … zwei weitere leere Zimmer. Nach ein paar Minuten hatte er das ganze Parterre überprüft. Alle Zimmer waren leer. Es gab eine Küche ohne Töpfe und Pfannen oder sonst irgendwelche Küchenutensilien – das Haus roch nach Staubund sah aus, als wäre es über ein Jahrhundert lang nicht mehr bewohnt gewesen. Merkwürdig …
Brimstone musste oben wohnen. Vielleicht hatte er sich eine Einzimmerwohnung eingerichtet. Vielleicht benutzte er Zauber zum Kochen – manche Männer taten das, wenn ihnen egal war, wie es schmeckte –, oder vielleicht ging er auch die ganze Zeit auswärts zum Essen, so wie er das heute Abend zu tun schien.
Chalkhill lief die Treppe hoch, und seine Schritte hallten auf den nackten Bodenbrettern wider. Er erreichte einen Absatz, wo durch eine halb offene Tür ein Badezimmer zu erkennen war, aber das sah genauso unbenutzt aus wie die Küche im Parterre. Er erklomm noch eine weitere Treppe, die zu dem Flügel mit den Schlafzimmern führte. Eine Kammer nach der anderen war leer, nicht einmal eine Matratze lag auf dem Boden, nicht einmal eine zerrissene Decke fand sich in einem der Schränke. Das ganze Haus war absolut und vollkommen verlassen. Was war hier los?
Sein Lichtzauber begann zu verblassen, also knackte er einen neuen und lehnte sich an die Wand, um nachzudenken. Dies war ganz sicher das Haus, wohin der Taxifahrer Brimstone gebracht hatte. Noch genauer, dies war das Haus, das, wie Chalkhill beobachtet hatte, Brimstone in der Dämmerung verlassen hatte. Er
musste
hier wohnen, und dennoch gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass überhaupt irgendjemand hier wohnte.
Was bedeutete, dass Chalkhill irgendetwas übersehen hatte.
Er ging wieder nach unten und checkte noch einmal alle Zimmer. Alle leer, wie diese blöde Küche. Er überprüfte gerade noch einmal genauer die Küche, als ihn ein leises Geräusch hinter ihm dazu veranlasste, sich umzudrehen, wobei sein Herz plötzlich zu pochen begann. Eine vertraute Gestalt zeichnete sich in der Tür ab.
»Was hat dich aufgehalten?«, fragte Brimstone ihn säuerlich.
SECHSUNDZWANZIG
Z um ersten Mal in ihrem langen Leben fühlte sich Cynthia Cardui wirklich alt. Es waren nicht bloß die Steifheit in den Gliedern oder die kleinen Schmerzen, die einen ständig begleiteten, es war die Art, wie die Gefühle ihre Macht verloren. Man war ruhig. Man war wesentlich rationaler, als man je in seiner Jugend gewesen war. Aber, wie zum schrecklichen Ausgleich, das Leben wurde kalt.
Sie starrte auf den Körper ihres Geliebten herab. Er war immer dünn gewesen, dünn und drahtig, aber seitdem ihn die Lebenskraft verlassen hatte, sah er geschrumpft aus, wie eine ausgetrocknete Mumie. Es war seltsam, ihn so zu sehen und doch … nichts zu fühlen.
Die Einbalsamiererinnen, Frauen mit nüchternen Gesichtern und schmalen Händen
Weitere Kostenlose Bücher